In den Rückkehrzentren des Kantons Bern in Bözingen und Aarwangen leben viele Kinder von abgewiesenen Asylbewerbern jahrelang unter traumatischen Verhältnissen und ohne Perspektiven. Trotzdem sind in der Zivilgesellschaft Lichtblicke zu erkennen.
In den Rückkehrzentren (RZ) des Kantons Bern leben seit Jahren junge Erwachsene, Familien mit Kindern sowie Alte und Kranke in engsten Platzverhältnissen und vorab für Frauen und Kinder knappen Hygieneeinrichtungen und nächtlichen Polizeibesuchen (siehe auch Vision 2035 Nr. 37). Diese RZ sind Unterkünfte mit vielen Mängeln auch bei der Betreuung und dem fehlenden Zugang für externe Besucher. In Biel-Bözingen – 116 Menschen aus 19 Ländern teilen sich hier sechs Wohncontainer – können die Kinder immerhin die öffentlichen Schulen besuchen und damit mit anderen Kindern in Kontakt kommen, während ihnen in Aarwangen sogar dies zum Teil verwehrt wird. Das RZ in Gampelen behandle ich in diesem Beitrag nicht, da dort viele junge Erwachsene untergebracht sind und keine Kinder.
In der Deklaration der Menschenrechte und in der UN-Konvention über die Rechte des Kindes sind gewisse Rechte festgeschrieben. Zum Beispiel, dass Kinder Kinder sein dürfen und nicht wie in den letzten Jahrhunderten als kleine Erwachsene betrachtet werden. Eine Rose ist auch etwas Eigenständiges und nicht nur eine noch unreife Hagebutte. Auch sind Kollektivstrafen zumindest geächtet, besonders wenn sie Kinder betreffen. „Wir produzieren hier kaputte Kinder“, sagt Prof. Walter Leimgruber, der Präsident der eidgenössischen Migrationskommission EKM. Und in einem Interview im Bieler Tagblatt vom 7. November 2020: „Fast alle werden psychisch krank. In den Unterkünften für abgewiesene Asylsuchende kommt regelmässig die Polizei vorbei, weil irgendjemand etwas angestellt hat oder jemand abgeholt wird, um wegtransportiert zu werden. In der Nacht gibt es einen Heidenlärm, die Kinder wachen auf. Sie haben Albträume, dass sie die nächsten sind oder dass ihre Eltern geholt werden. Man nimmt ihnen jede Möglichkeit, sich normal zu entwickeln.“ Sie für etwas zu bestrafen, das ihre Eltern angestellt haben, verstosse nicht nur gegen allgemeine Kinderrechte, sondern gegen jedes Rechtsempfinden, so Leimgruber weiter: „Wir werfen die Kinder von Kriminellen auch nicht mit ihnen ins Gefängnis.“
Auch im gut recherchierten Artikel „Die Kinder der unerwünschten Eltern“ von Lea Stuber im Tages Anzeiger vom 7. Oktober 2021 (auch im BT, Der Bund, BT erschienen) kommt zur Sprache, dass sich viele dieser Kinder verzögert entwickeln. Die Rede ist von spätem Sprechbeginn, Konzentrations- oder Schlafschwierigkeiten, depressiven Verstimmungen und Traurigkeit bis hin zu schweren Verhaltensauffälligkeiten mit Selbstverletzung in Einzelfällen, wie eine Heilpädagogin, die Kinder im Rückkehrzentrum professionell begleitet, berichtet.
Ein Zimmer pro Familie ist in den Rückkehrzentren die Regel. Samira B. und ihr Mann, die im erwähnten Artikel zu Worte kommen, sind seit bald neun Jahren in der Schweiz, ihr Sohn kam hier zur Welt. Über sieben Jahre lebten sie in einer Wohnung mit drei Zimmern, seit sechs Monaten teilen sie sich nun ein Zimmer im Rückkehrzentrum. Sie schlafen auf Matratzen, die sie tagsüber an die Wand stellen.
Zum Glück gibt es starke zivile Kräfte, die Gegensteuer geben und Familien durch private Unterbringung (siehe Artikel in Vision 2035 Nr. 37) ganz oder punktuelle Aktivitäten teilweise aus der angespannten Atmosphäre der Rückkehrzentren holen. Aktuell leben aber nur 23 der 101 Kinder und Jugendlichen, die im Kanton Bern in der Nothilfe leben ausserhalb der RZ.
In Biel ist die Gruppe „Alle Menschen“ aktiv. Sie schreibt auf ihrer umfassend dokumentierten Website: „Speziell betroffen von Verletzungen ihrer Rechte sind die Kinder von “Abgewiesenen”. Diese Kinder können ja nichts dafür, dass ihre Eltern früher einmal einen Entscheid zur Ausreise, zur Flucht getroffen haben. Deshalb helfen wir speziell auch den Kindern, logischerweise samt ihren Eltern, denn Kinder haben unter anderem ein Recht auf Familie.“ mit bescheidenen Mitteln aus Spenden werden regelmässig Aktivitäten an diversen Orten organisiert. Die Fotos in diesem Beitrag sind bei solchen Aktivitäten wie zum Beispiel einem Malwettbewerb für die Kinder, entstanden. Dies unter dem Stichwort „zugewandt“ statt „abgewiesen“.
Ulrich Burri lebt seit 1992 in Biel. Er ist seit 1969 Dipl. Elektro- ingenieur ETHZ und seit 2010 pensioniert. Vorher war er Professor an der Berner Fachhochschule und unterrichtete Informatik.
Heute ist er mehrfach sozial engagiert.
Redaktionelle Mitarbeit: Janosch Szabo, von der Kernredaktion Vision 2035
Fotos: Michael Meier
Geschenkte Zeit und Aufmerksamkeit
Ursula von der Aktionsgruppe Nothilfe berichtet von ihrem Besuch
beim Malwettbewerb der Kinder aus dem RZ Biel-Bözingen.
Im Rückkehrzentrum in Biel-Bözingen leben ca. 120 Menschen, davon ungefähr 40 Kinder und Jugendliche. Als abgewiesene Asylsuchende sind sie verpflichtet unser Land, die Schweizerische Eidgenossenschaft, zu verlassen. Die Mehrheit von ihnen lebt seit mehr als einem Jahr in der Nothilfe-Situation. Viele erdulden dieses Leben auf der untersten Stufe der Existenz in der Schweiz seit Jahren. Eine Ausreise in ihre ursprüngliche Heimat ist für sie nicht denkbar, nicht vollziehbar, unmöglich. Kinder sind hier geboren, aufgewachsen, viele kennen keinen anderen Lebensmittelpunkt und Wohnort, als denjenigen des Asyl- und Rückkehrzentrums. Ein Ort, der nicht zum Bleiben konzipiert und gedacht ist.
Diese Kinder und ihre Familien treffen sich manchmal ausserhalb des Camps zu Ausflügen, zu Museumsbesuchen, zum Spiel, zum Austausch, als Abwechslung zum beengten und eingeschränkten Alltag im Rückkehrzentrum.
Heute hatte ich Gelegenheit gemeinsam mit den Maturandinnen Jelena und Nina und dem Fotografen Michael an einem solchen Treffen teilzuhaben. Es kamen dann 21 Kinder zum gemeinsamen Malen. Die Buntheit, Vertrautheit und Bescheidenheit im Zusammensein dieser Menschen von aller Welt, beeindrucken mich.
Geschenkte Zeit und Aufmerksamkeit beschenkt uns mit Wertschätzung, Achtung und Dankbarkeit.