Urbanismus

„Die Klimaerwärmung ist kein Schreckgespenst der Zukunft mehr“

„climate justice now“ fordern die Bieler Klimastreikenden energisch und sind wieder einmal lautstark durch die Innenstadt gezogen. Vor dieser Demo im Rahmen eines Internationalen Klimastreiks gab es Ansprachen und Gesänge, und Reden zweier engagierter junger Aktivisten auf dem Zentralplatz. Vision 2035 publiziert diese hier exklusiv.

Die Rede von Dimitri Vogt:

„Stellen Sie sich vor, Sie lassen Wasser in eine Badewanne einlaufen. Es läuft und läuft, und das Wasser steigt und steigt, und langsam kommt es immer näher und näher an den Rand. Nun befindet es sich schon gefährlich nahe am Überschwappen, an einigen Stellen beginnt es sogar bereits überzulaufen. 

Was können Sie tun? 

Sie können versuchen mit einem Eimer die Badewanne so schnell wie möglich auszuschöpfen, bevor neues Wasser nachgeflossen ist. 
Sie können das gleiche natürlich auch mit einem Kaffeelöffel versuchen. Wenn sie sehr flink sind schaffen sie es vielleicht, das Überschwappen ein paar Sekunden hinauszuzögern. Sie können auch einfach abwarten, denn Ihr Schlafzimmer befindet sich ja nicht gleich neben dem Bad und ihre Mitbewohnerin wird sich dann schon um die Überschwemmung kümmern. Sie können sich auch einbilden, dass das Wasser zwar steigt aber durch ein Wunder trotzdem nie überschwappen wird, wobei irgendwie haben Sie so Ihre Zweifel, ob das wirklich funktionieren kann. 

Dann kommt Ihnen eine Wahnsinns-Idee, ein Geistesblitz! Was wäre, wenn Sie einfach den Hahn zudrehen würden? Dann würde kein Wasser mehr nachfliessen und das würde heissen, dass das Wasser nicht mehr steigt. Sie könnten dann einfach ein gemütliches Bad geniessen, ohne noch irgendwelche Sorgen zu haben. Wow, das tönt ja fantastisch! 

Die Klimakrise ist im Grundsatz ein entwaffnend einfaches Problem, welches bereits seit Jahrzehnten bekannt und verstanden ist. Heute wissen wir sogar beinahe exakt, wie viel das Wasser in der Badewanne pro Sekunde steigt und wann es den Rand erreicht. Auch wie lange es bis ins Wohnzimmer und ins Schlafzimmer braucht. Dass es unmöglich ist, mit einem Löffel oder Eimer die gleiche Menge an Wasser auszuschöpfen wie dazukommt. Und was die  Kosten betragen, wenn die Wohnung geflutet wird.

Millionen von Daten aus zehntausenden von Studien wurden von hunderten der besten WissenschaftlerInnen aus aller Welt sorgfältig bewertet und zu Berichten über den aktuellen Wissensstand des Klimas zusammengefasst.
Die IPCC-Berichte sind eine wissenschaftliche und organisatorische Meisterleistung und der Standard, wenn es darum geht verlässliche Information bezüglich der Klima-Situation zu erhalten. 

Und wenn eines klar aus diesen Berichten hervorgeht dann, dass wir den CO2-Hahn so schnell wie möglich schliessen sollten. Und auch wenn unsere Wanne bereits übervoll ist, lohnt es sich, um jeden Tropfen weniger zu kämpfen. 

Die Rede von Florian Hebeisen:

„Bestimmt haben die Meisten hier in der letzten Zeit vom IPCC-Report on Climate Change gehört. Für die anderen: Das Intergouvernemental Panel on Climate Change ist ein Wissenschaftsgremium, das regelmässig Publikationen über den Stand der Klimaerwärmung veröffentlicht und dabei der Politik in ihrer Meinungsbildung helfen soll. Der jüngste dieser Sorte umfasst insgesamt über drei-einhalb-tausend Seiten voller englischer Fachbegriffe. Ich werde heute versuchen, die Haupterkenntnisse daraus zu isolieren und in Relation zu bringen.

In einem ersten Teil beschreibt der Bericht die momentane Situation des Klimas. Dabei hält er unter anderem fest, dass die Temperatur der Landmassen im Vergleich zum 19. Jahrhundert um 1.6°C angestiegen ist. Ohne den Menschen hätte man eine Klimaerwärmung von 0.1°C und könnte gar nicht daran denken, überhaupt von einem Klimawandel zu sprechen. Das IPCC stellt ausserdem fest, dass sich das Wetter in Folge von menschlichem Handeln stark verändert hat. Es wurde beobachtet, dass sich Polarstürme und Monsune drastisch verschieben. Zahlreiche Regionen wie z.B. Indien sind, nicht nur landwirtschaftlich, auf diese Stürme angewiesen. Die Klimakrise schafft so schon heute massenweise humanitäre Notsituationen, verstärkt die schon vorherrschende Nahrungsknappheit und zerstört die Lebensgrundlage zahlreicher Ökosysteme.

Nun ist dieser Klimawandel kaum mit einem anderen natürlichen in den letzten tausenden von Jahren vergleichbar, wie es viele behaupten. Diese starke und schnelle Erwärmung kann man in den letzten 2’000 Jahren nicht finden, für Temperaturen höher als die derzeitigen muss man sogar 125’000 Jahre zurückgehen. Die gegenwärtige Klimakrise ist nicht einfach nur ein Klimawandel wie jeder andere in den letzten Millionen Jahren auch. 

In einem Teil probiert der Bericht sogar noch, die späte Erkennung der Klimaerwärmung teilweise wissenschaftlich zu erklären. Umweltfaktoren mit einer abkühlenden Wirkung hätten die von der Zivilisation verursachte Klimaerwärmung lange überschattet. Diese Fakten überschatten aber nicht, dass man schon länger vom Klimawandel weiss, als so manche Verantwortliche zugeben wollen: der erste IPCC-Bericht ist schon im Jahre 1990 erschienen und noch heute wird den wissenschaftlichen Ergebnissen kaum Aufmerksamkeit geschenkt. 

Wenden wir uns nun unserer wirklich düsteren Klimazukunft zu. Um diese zu evaluieren, hat das IPCC verschiedene Szenarien simuliert und kommt dabei zu erschreckenden Schlüssen. Den besten Ausgang sieht es in einem Szenario mit einer globalen Klimaneutralität im Jahre 2060 und darauffolgenden negativen Emissionen. Auch dieses Szenario erreicht gemittelt nur eine globale Erderwärmung von 1.5°C im Jahre 2100. Der «Worst case» sieht sogar eine gesamte Klimaerwärmung von bis zu 5.7°C vor. Wenn wir so weitermachen, sind unsere tief gesetzten Ziele völlig ausser Reichweite und von einer ernsthaften Bekämpfung der Krise kann nicht die Rede sein. Und nur schon eine zusätzliche Erwärmung von 0.5°C lässt Wetter- und Klimaextreme um ein vielfaches intensiver und häufiger erscheinen.

Obendrein werden sich viele Regionen im Vergleich zum globalen Durchschnitt um ein 1 ½ bis 2-faches erwärmen. Der Mittelmeerraum wird in Zukunft bei fast allen Szenarien mit extremer Hitze und Trockenheit konfrontiert sein, denn die Niederschläge verringern sich dort mit der Klimaerwärmung drastisch, während grosse Teile von Afrika und dem nahen Osten eine regelrechte Flut an Niederschlägen erleben werden. Zudem wird die Arktis während jedem der vorgestellten Szenarien im Sommer praktisch eisfrei sein, was einen riesigen und hochkomplexen Einfluss auf das globale Wetter und die Wassersysteme haben wird. 

Es verändert sich aber auch der Wasserkreislauf, den wir alle in der Schule gelernt haben. Das IPCC vermutet, dass sich der globale kontinentale Niederschlag bei einer Erwärmung von 4°C um bis zu 13% erhöhen wird. Solche Abflussvolumen können derzeitige Flusssysteme gar nicht bereitstellen: Wir werden höchstwahrscheinlich vermehrt Flutkatastrophen wie in diesem Sommer erleben müssen. Nur noch einmal zur Erinnerung: die Überflutungen haben in Deutschland 180 Menschenleben gekostet. Auch dies sagt uns erneut: Wir stecken mitten in der Klimakrise und sind schon jetzt massgeblich von den Auswirkungen betroffen. Die Klimaerwärmung ist kein Schreckgespenst der Zukunft mehr, dieser Poltergeist hält uns schon jetzt ununterbrochen in Atem.

Nun: die Folgen im Hauptteil des Berichts sind die am meisten wahrscheinlichen. Die Realität ist aber, dass wir noch immer nicht in der Lage sind, die tatsächlichen Folgen unseres Handelns zu erkennen, denn am Klima hängen unzählige, komplexe Systeme, die ab einem gewissen Punkt einfach in sich zusammenbrechen könnten. Ein Beispiel dazu gibt das IPCC: Es besteht eine Möglichkeit, dass der Golfstrom sehr abrupt abbrechen könnte. Obwohl dies bis 2100 unwahrscheinlich ist, hätte es nicht vorstellbare Folgen für unseren Lebensraum. Eine komplette Verschiebung des ganzen Tropengürtels wäre nur eine Folge davon: ganz Europa würde austrocknen und vor allem Westeuropa würde einen regelrechten Kälteschock erleiden.

Zudem würden sich Monsunphänomene so weit abschwächen, dass sie praktisch irrelevant werden. Dies ist nur eines dieser unwahrscheinlichen Szenarien, zeigt jedoch die Brisanz des Klimaschutzes. Wir können uns heute gar nicht ausmalen, wie stark die Auswirkungen des Klimawandels sein werden. Deshalb müssen wir jetzt handeln. Bevor wir die schlimmsten Szenarien am eigenen Leibe miterfahren müssen.

Fotos: © by Alex Wissmann & Andreas Bachmann

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