Die Stadt Biel gibt sich eine neue Verfassung. Die Bevölkerung ist aufgerufen, in einer Vernehmlassung bis Anfang Juni dazu ihre Meinung zu äussern. Das ist eine einmalige Gelegenheit, Wünsche und Visionen für die Zukunft unserer Stadt an höchster Stelle einzubringen.
Eine Verfassung ist das höchste Gesetz eines öffentlichen Gemeinwesens und legt die Grundsätze des Zusammenlebens, der staatlichen Tätigkeit und des Zusammenspiels von Volk, Parlament und Regierung fest. Die Schweiz hat eine Bundesverfassung und der Kanton Bern hat eine Kantonsverfassung. Die Stadt Thun hat eine „Stadtverfassung“. In Biel heisst die Verfassung „Stadtordnung“. Nun soll es eine neue Stadtordnung geben.
Dazu führt die Stadt bis Anfang Juni eine Vernehmlassung durch, in der sich die Bevölkerung zu einem Entwurf äussern kann. Die neue Stadtordnung soll Bewährtes erhalten. Es soll darin aber auch Platz für Neues haben. Eine wichtige Neuerung sind mehr politische Mitwirkungsmöglichkeiten auch für jene, die nicht stimmberechtigt sind. So soll künftig eine bestimmte Anzahl von Personen unabhängig von ihrer Stimmberechtigung parlamentarische Vorstösse einreichen können.
Im Entwurf der neuen Stadtordnung fehlen aber noch konkrete Ziele und Visionen für die Zukunft. Stattdessen wird für die neue Stadtordnung eine Präambel vorgeschlagen. In dieser sollen die Ziele für die nächsten Jahre zusammengefasst werden. Eine Präambel ist aber nur ein allgemeiner, feierlicher Einleitungstext ohne Verbindlichkeit und daher völlig ungenügend. Die Vernehmlassung ist daher eine Chance, Visionen für unsere Stadt einzubringen. Nutzen wir die Gelegenheit!
Das Klima etwa, das uns künftig noch drastischer beschäftigen wird als heute schon, bleibt unerwähnt. Dabei kann auch die Stadt viel für das Klima tun, indem sie zum Beispiel Wärmeverbünde fördert, autofreie Überbauungen fordert und den Fuss- und Veloverkehr stärkt. Mehr kühlende Begrünung schützt zudem die Bevölkerung vor den Folgen der Klimaerwärmung. Ein Grundsatz wie „Die Stadt setzt sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Begrenzung der Risiken und Auswirkungen der Klimaveränderung ein“ würde reichen, um die Klimapolitik, welche die Stadt bereits betreibt, politisch abzusichern und weiterzuentwickeln.
Auch zum Thema Ernährung findet sich nichts. Der Ernährungsrat Region Biel (sh. Seiten ????) zeigt, dass die Stadt auch viel für ein nachhaltiges Ernährungssystem für alle tun könnte. Es fehlen ausserdem auch Ziele und Visionen in wichtigen Bereichen wie Schule, Kultur, Sport, Wohnungsbau und nicht zuletzt beim Sozialen.
Die Anti-Vision: „Schuldenbremse“
Eine weitere Neuerung ist die „Schuldenbremse“. Diese sieht vor, dass sich die Stadt Biel ab einer gewissen Schuldenhöhe nicht mehr weiter verschulden darf. Was auf den ersten Blick sinnvoll erscheint, ist ein Bumerang. In Wahrheit ist die „Schuldenbremse“ eine „Investitions- und Entwicklungsbremse“, weil sie wichtige Aufgaben wie die Sanierung von Schulhäusern blockiert und wertvolle Leistungen für die Allgemeinheit gefährdet.
Dazu kommt, dass der Kanton den Gemeinden und Städten bereits einen ausgeglichenen Finanzhaushalt vorschreibt und so der Verschuldung Grenzen setzt. Eine weitergehende Schuldenbremse ist daher nicht nur gefährlich sondern auch unnötig. Stattdessen ist zu verhindern, dass an Konzerne Steuergeschenke verteilt werden.
Urs Scheuss ist Stadtrat der Grünen und Mitglied der Kommission für die neue Stadtordnung
Kleine Anleitung für die Vernehmlassung
Bis Anfang Juni können alle – auch Personen ohne Stimmrecht – eine schriftliche Stellungnahme zur neuen Stadtordnung einreichen. Der Entwurf der neuen Stadtordnung, ein Fragebogen sowie weitere Dokumente befinden sich auf Website der Stadt: www.biel-bienne.ch. Am einfachsten ist es, den Fragebogen herunterzuladen, auszufüllen und an die angegebene Adresse zurückzuschicken. Wer Anregungen, Wünsche oder Kritik hat, die zu keiner der gestellten Fragen passen, kann diese auch am Schluss des Fragebogens hinzufügen.