Unsere Autorin über ihr «inniges» Verhältnis mit ihrem Smartphone – direkt aus dem prallen Leben.
Ich und schreiben? Ich und süchtig? Schreiben kann ich nicht und süchtig bin ich doch auch nicht. Wie sollte ich also über eine Sucht schreiben, die es nicht gibt? Tja, es geht, wie ihr seht und ich werde euch jetzt anvertrauen, wie das so ist bei mir, wenn ich etwas nicht wahrhaben will… aber psst, das bleibt unter uns!
Alle die vielen Ausreden für die – milde ausgedrückt – etwas überdurchschnittliche Nutzung meines Smartphones sind bei mir, wie ich feststellen musste, Anzeichen von… Sucht? Nein, nein, ich bin doch nicht handysüchtig…
Ich als Hobbyfotografin muss überall und jederzeit die Möglichkeit haben, eine Situation bildlich festhalten zu können – mit meinem Smartphone. Dass mein Smartphone auch mein Wecker ist, hat praktische Gründe: Ich kann tickende Wecker nicht ausstehen. Zudem ist die im Smartphone integrierte Taschenlampe neben dem Bett ganz hilfreich. Und was ist schon dabei, wenn ich am Morgen schnell die «Mobilen Daten» einschalte und schaue, ob mir über Nacht jemand geschrieben hat? Ein Termin für heute könnte ja annulliert worden sein.
Wieso nicht auf YouTube zum Frühstück etwas Musik hören? Und ach, wenn ich schon das Gerät in der Hand habe, kann ich schnell die Statusmeldungen checken, vielleicht findet heute irgendwo etwas Spannendes statt. Zwischen Konfibrot und Teetasse flitzen meine Finger noch schnell zur SRF-Sport-App: Ich muss doch wissen, ob der EHC Biel noch auf einem Playoff-Platz ist und und ob unsere Skifahrer in Lake Louise über Nacht auf das Podest gefahren sind.
Bevor ich mich anziehe, muss ich noch schnell wissen, was das Wetter heute will. So, jetzt kann der Tag beginnen. Moment, ich brauche noch ein Bahnbillet! Dieses löse ich natürlich bequem per Smartphone, schliesslich will ich ein Sparticket.
Auf dem Weg nach Zürich sitze ich alleine im 4-er Abteil – und nütze also die Zeit, um meine Mails auf dem Smartphone zu beantworten! Es sitzt ja niemand bei mir im Abteil, mit dem ich reden könnte. Und wenn, dann wären die alle auch in ihr Smartphone vertieft.
Nach meinem Termin in Zürich nehme ich sofort mein Smartphone aus der Hosentasche, ich muss doch wissen, wie spät es ist, ob es mir noch auf den Zug reicht, und lese gleich noch schnell die neu eingetroffenen Whats-App-Nachrichten.
Auf dem Rückweg nehme ich mir fest vor, das Telefon in der Hosentasche zu lassen. Mein guter Vorsatz hält nur so lange, bis der Kondukteur kommt und mein Billet sehen will. Da mein Smartphone nun schon mal auf dem kleinen Tischlein liegt, könnte ich doch wieder mal per Postcard-Creator eine Karte versenden. Wieder zu Hause möchte ich mich etwas erholen. Da ich aber keinen Fernseher habe, zücke ich wieder mein Handy. Ist ja kein Problem, wenn man sich ab und zu ein Filmchen auf Youtube anschaut.
Ihr seht, ich bin nicht süchtig, sondern brauche mein Smartphone nur, wenn es wirklich nötig ist… oder waren das jetzt alles blosse Ausreden?
Kürzlich hatte ich auswärts den Pin meiner SIM-Karte nach einem Update drei mal falsch eingegeben. Somit war ich den ganzen Tag unfreiwillig offline. Ich erwischte mich immer wieder beim Schielen auf mein Smartphone, obschon ich ja keinen Empfang hatte. Das waren doch bloss Reflexe, oder? Und wenn man in einer solchen Situation unruhig und sogar «grantelig» wird, sind das doch nicht schon Anzeichen von Entzug? Eine Bemerkung meines «Hüetikindes» war dann deutlich: «Du hast kein Hobby, du hast ein Handy!» Autsch! Also doch süchtig? Wichtige Erkenntnisse im Leben tun manchmal weh. Seit da ist es meine grosse Aufgabe, mich zu «Entsmart- phoneisieren».
Den 1. Schritt dazu habe ich soeben geschafft: Ich war zwei Tage lang offline, dieses Mal freiwillig. Es war nicht einfach. Immer wieder verspürte ich den Drang, auf meinem Smartphone die Nachrichten zu checken oder etwas im Netz nachzuschauen. Je länger der Versuch aber dauerte, (es waren ja nur zwei Tage) desto besser ging es mir dabei. Zu guter Letzt wollte ich das Gerät am liebsten gar nicht mehr anstellen. Als der Drang nachliess, immer nach den Nachrichten zu gucken, verspürte ich plötzlich eine unendliche Freiheit. Aber dann meldeten sich plötzlich andere Gedanken: Was, wenn etwas passiert ist und man mich braucht?!
Doch wie sich herausstellte, findet sich auch ohne Smartphone ein Weg mich zu erreichen. Während meiner Offline-Zeit wollte ein guter Freund dringend etwas von mir wissen! Er erreichte mich, weil er sich gemerkt hatte, wo und mit wem ich in diesen beiden Tagen unterwegs war. Nun ist es also an mir, diese unangenehmen Gefühle bei Offline-Momenten richtig einzuordnen und ihnen nicht nachzugeben. Früher ging es ohne Smartphone, wieso sollte es also heute nicht mehr ohne gehen?
So ganz ohne Smartphone möchte ich aber doch nicht sein. Ich schätze die Spartickets, die schönen Postkarten, die ich versenden kann, und die Kommunikation per Whatsapp. Das Geheimnis liegt im Mass, und nun liegt es an mir, die Balance zwischen online und offline zu finden. Ich und handy- süchtig? Nie und nimmer!
Pascale Chatton lebt und arbeitet in Biel als vielfältige Allrounderin, Konfifee, Zeitungsverträgerin, Linzertortenbäckerin, Kinderhüterin, Museumsmitarbeiterin und vieles mehr.