Ernährung Urbanismus

Wenn’s vorwärts geht

In dieser Ausgabe steht der evolutive Charakter des Ökoquartiers «Les Vergers» im Fokus. Was läuft hier, was dort? Was stockt, rattert noch?

Wer es glaubt oder nicht: Vor unserer Hütte rattern keine Baumaschinen mehr. Dafür gibt es herumtollende Kinder. Und ihre Eltern. Die Schule hat anfangs 2019 geöffnet. Und so steht nun morgens um 8 Uhr auch die police municipale da. Die Schule empfängt die Kinder der QuartierbewohnerInnen, die Polizisten verteilen Parkbussen. Maximal 30 Minuten darf man sein Auto stehen lassen. Et hop – schon zahlt man eine saftige Busse. Und wer gar nie auftaucht, der sieht sein Auto schnell abgeschleppt. Dieses Spektakel konnte ich einmal von meinem Zimmer aus verfolgen. Die Polizisten waren genauso untätig wie ich, schauten sie doch dem Abschleppdienst nur zu. Bon, für Verkehrsordnung ist also gesorgt. Sicher ist unser Wohnhaus deshalb nicht. Mehrmals wurde schon eingebrochen, oftmals lungern Jugendliche nachts auf unseren Terrassen herum. Ob der – endlich – installierte digicode am Haupteingang diesem Treiben Abhilfe schafft?

Neben der Schule haben bis anfangs Februar auch weitere Einkaufmöglichkeiten, Cafés und Restaurants geöffnet. Sie locken die BewohnerInnen heraus, derzeit hinein, und sorgen für soziale Treffpunkte. Ein Happening gab es zusätzlich am ersten Februar-Wochenende: Unter dem Namen Superstructure luden die Genossenschaften Codha und Voisinage zusammen mit BauarbeiterInnen und KünstlerInnen ein, ihre künftigen Wohnblöcke zu besichtigen. Auf einem Rundgang konnte man diverse installations artistiques bestaunen, bis aufs Dach hochsteigen, sich auf Höhe des Juras wähnen, und dann im Erdgeschoss in einen Jacuzzi plumpsen. 

En évolution befindet sich auch unser Wohnhaus. Diverse NachbarInnen sind schon wieder ausgezogen, andere sind von Auslandaufenthalten zurückgekehrt, die meisten sind aber noch immer da. Und die, die jeweils da sind, treffen sich jeden ersten Sonntag im Monat, um zu diskutieren, kommunizieren und Zukunftsprojekte zu schmieden. Von 70 Leuten sind jeweils 10-15 oder mehr anwesend. An Ideen fehlt es uns nicht: Zirkus-Atelier, Kletterwand, Garten usw. sollen entstehen. Was uns derzeit aber noch hemmt: Der salle polyvalente wurde re-repariert und bis heute ist er nicht operationelle. Dennoch: Wir bleiben optimistisch und geduldig. Koordiniert werden diese réunions jeweils von einem Delegierten. Vier haben wir für unser Wohnhaus, einer davon bin ich. Unsere Aufgabe: Die Scharnierposition zwischen den BewohnerInnen des Hauses und der Genossenschaft einnehmen! 

Zeit braucht es, um dieses Ökoquartier zum Leben zu erwecken, zu transformieren. Eine ökologisch und sozial integrierte Nachbarschaft (Glomo 1) gemäss den VisionärInnen von NeustartSchweiz ist es bisweilen nicht. Davon sind wir noch weit entfernt. Doch wie wir sehen, wird gearbeitet. Bei 2500 Personen hätte es bei uns gar Platz für fünf «Glomo1». Die Durchmischung stimmt, alle Generationen und viele verschiedene soziale Schichten haben ein Zuhause gefunden. 

Mehrheitlich ist unser Quartier auch demokratisch geprägt. Es gibt genossenschaftliche, private oder privat-öffentliche Bauherrschaften, Vereine und den espace chantier, den Quartiertreffpunkt. Dort finden monatliche permanences statt, von der Gemeinde organisiert. Ansonsten bietet er einen Raum für die Arbeitenden der verbleibenden Baustellen. Zum Kochen und Sein. Vielleicht der Versuch einer internen Hauswirtschaft, zusammen mit dem künftigen Weiterverarbeitungslokal? Die Verbindung als Mikrozentrum mit dem Supermarché Paysan Participatif ist eine spannende Alternative. Das Neustart Schweiz Modell sieht dafür regionale Landbasen vor, die die Nachbarschaften versorgen. Die Wohnformen im Quartier sind breit: Clusterwohnungen, Familienwohnungen, WGs etc. «Die Privatsphäre bleibt», wie es im Dokument «Ein Entwurf» von Neustart Schweiz in den Richtlinien zur Nachbarschaft steht. Letzteres trifft für mich ganz klar zu: Mein Zimmer nimmt mir in meiner Achter-WG niemand weg. 

So gehts vorwärts hier im Ökoquartier. En évolution sind wir, im Kommen die zahlreichen Initiativen. Vielleicht bald noch mehr: Und zwar dank dem in den Startlöchern steckenden fonds pour la vie du quartier, der von diversen Genossenschaften (auch meine ist dabei) für gemeinsame Quartierprojekte lanciert wurde. Yeah!

Pascal Mülchi (33) ist angehender Übersetzer und passionierter Gärtner. Er lebt bald seit einem Jahr im Ökoquartier in Meyrin (GE). Er ist Mitglied bei der Wohngenossenschaft La Ciguë. 

Mehr auf www.pascoum.net

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