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Wie der Staat ab 2021 auf Shoppingtour geht

Während Schweizer*innen beim Konsum vermehrt auf ökologische Nachhaltigkeit und fairen Handel achten, fristet die Nachhaltigkeit bei der Vergabe von Aufträgen durch die öffentliche Hand ein Schattendasein. Noch. Denn mit dem neuen Beschaffungsgesetz, welches nächstes Jahr in Kraft tritt, könnte sich dies nun endlich ändern. Und auch in der Stadt Biel tut sich was. Damit wird auch der Druck auf Unternehmen steigen, ihren Teil zur ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit beizutragen.

Die Schweizer Bevölkerung setzt beim Kauf von Produkten des täglichen Bedarfs vermehrt auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit. So achten gemäss einer im April 2020 veröffentlichten Studie der Hochschule Luzern 35% der Befragten häufig darauf, dass die Produkte ökologisch nachhaltig sind und aus fairem Handel stammen. Die Corona-Krise tut diesem Verhalten keinen Abbruch, sondern verstärkt es sogar. Die Nachfrage bestimmt bekanntermassen das Angebot. Und so beeinflusst das Kaufverhalten natürlich auch die Produzent*innen und Detailhändler*innen, was wiederum dazu führt, dass das Sortiment in unseren Supermärkten stetig nachhaltiger wird.

Die öffentliche Hand setzt noch kaum auf nachhaltige Kriterien

Wenn wir nun aber den Blick weg von den Konsument*innen und hin zur öffentlichen Hand wenden, so ergibt sich dort ein anderes Bild. Die öffentliche Hand – bestehend aus Bund, Kantonen und Gemeinden – beschafft jährlich Produkte und Dienstleistungen im Rahmen von 40 Milliarden Franken, was den durchschnittlichen Konsumausgaben von nahezu einem Viertel aller Schweizer Haushalte entspricht. Darunter fallen Bauarbeiten, Gärtner*innenarbeiten, Beratungsleistungen, Büromöbel, Handys, neue Kampfjets und so makaber es tönen mag – auch Ratten und Schweine zu Forschungszwecken. Summa summarum also alles was nicht selbst erbracht bzw. produziert werden kann und daher eingekauft werden muss.
Doch die öffentliche Hand tut sich aktuell noch sehr schwer damit, bei der Vergabe von Aufträgen auf nachhaltige Kriterien zu setzen – und dies, obwohl die nachhaltige Entwicklung als Staatsziel in der Bundesverfassung festgeschrieben ist:

«Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können»
Auszug aus dem Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen

Die einzigen nachhaltigen Kriterien, auf welche die öffentliche Hand bei der Vergabe von Aufträgen zwingend achten muss, sind, ob Unternehmen die Lohngleichheit zwischen Frau und Mann, sowie die Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutzbestimmungen einhalten. Als Arbeitsbedingungen gelten die Gesamtarbeitsverträge und die Normalarbeitsverträge und, wo diese fehlen, die tatsächlichen orts- und berufsüblichen Arbeitsbedingungen. Dies ist natürlich bei weitem nicht genügend um dem Verfassungsauftrag gerecht zu werden und insbesondere auch im Hinblick auf die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens absolut unzureichend.
Doch es tut sich was: Im Juni 2019 wurde das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) verabschiedet, welches am 1. Januar 2021 in Kraft treten wird und weitaus grösseren Spielraum für nachhaltige Beschaffungen bietet. Der Kanton Bern plant seine Gesetze und Verordnungen bis im Herbst 2021 auf das neue Bundesgesetz anzupassen und auch in der Stadt Biel wurden wichtige Schritte eingeleitet: Mit dem Klimaschutzreglement, welches im September 2020 verabschiedet wurde, setzt sich die Stadt Biel das Ziel, das Pariser Klimaabkommen auf Gemeindegebiet umzusetzen und bis 2050 klimaneutral zu werden. Nebst dem Klimaschutzreglement wurden durch die neu gewählte Gemeinderätin Lena Frank bereits im August 2020 zwei darauf aufbauende Vorstösse zur nachhaltigen Beschaffung im Bieler Stadtrat eingereicht. Mit diesen fordert sie den Gemeinderat auf, das Beschaffungswesen der Stadt an das Klimaschutzreglement anzupassen und nachhaltige Kriterien in der Beschaffung konsequent zu verfolgen.

Das öffentliche Beschaffungsrecht kurz erklärt

Bund, Kantone und Gemeinden sowie auch von der öffentlichen Hand beherrschte Unternehmen wie beispielsweise die SBB und die Swisscom, aber auch der Flughafen Zürich und die Bieler CTS Group unterstehen alle dem öffentlichen Beschaffungsrecht. Dieses basiert auf einem Übereinkommen der Welthandelsorganisation (WTO) und sieht vor, dass der Einkauf von Produkten und Dienstleistungen nach bestimmten Vorgaben durchgeführt wird. Ziel dieser Vorgaben ist primär die Stärkung des Wettbewerbs unter den Anbieterinnen, die Förderung des wirtschaftlichen Einsatzes der öffentlichen Mittel, sowie die Verhinderung von Korruption. Doch wie sehen diese Vorgaben konkret aus?

Bei einer öffentlichen Beschaffung gibt es verschiedene Verfahren, einen Auftrag zu vergeben. Grundsätzlich gilt: Je höher die erwarteten Kosten der Beschaffung, desto strenger und komplexer das Verfahren:

• Offenes & Selektives Verfahren: Der Auftrag wird öffentlich publiziert und ist uneingeschränkt einsehbar. Jede Anbieterin, die gewisse Kriterien erfüllt, kann beim offenen Verfahren eine Offerte einreichen. Beim selektiven Verfahren erfolgt eine Vorauswahl.

• Einladungsverfahren: Der Auftrag muss nicht öffentlich publiziert werden, jedoch müssen mindestens drei Anbieterinnen direkt angefragt werden, eine Offerte einzureichen.

• Freihändige Vergabe: Der Auftrag kann direkt an eine Anbieterin vergeben werden. Es handelt sich dabei jedoch um eine Ausnahme, welche begründet werden muss (oft aufgrund unbedeutender Kosten).

Insbesondere beim offenen und selektiven Verfahren müssen klare Kriterien definiert werden, die für die Auswahl der Anbieterin entscheidend sind. Dabei unterscheidet man zwischen Eignungskriterien, welche die Anbieterin zwingend einzuhalten hat und Zuschlagskriterien, für welche die Anbieterin entsprechende Punkte erhält. Ein wichtiges Zuschlagskriterium ist neben Qualität insbesondere der Preis, welcher meist eines der wichtigsten Kriterien darstellt.

Nehmen wir einmal an, eine Stadt will ihre Mitarbeitenden mit neuen Laptops ausstatten. Sie möchte, dass diese Laptops über mindestens 1000Gbyte Speicherplatz verfügen, und sicherlich mit WLAN und einer Webcam ausgestattet sind. Ihr ist auch wichtig, dass die Anbieterin zwingend die Laptops innerhalb einer gewünschten Frist liefern kann und sie während der nächsten fünf Jahre bei Problemen mit den Laptops unterstützt. Dies sind klassische Eignungskriterien. Und dann gibt es auch noch Punkte, welche nicht zwingend einzuhalten, aber doch wünschenswert sind: Zum Beispiel, dass die Anbieterin kurzfristig Ersatzlaptops liefern kann und man mit ihr nicht nur auf Deutsch, sondern auch Französisch kommunizieren kann. Diese definiert die Stadt – nebst dem Preis – als Zuschlagskriterien, welche gewichtet und bewertet werden.

Der Auftrag für die Laptops wird an jene Anbieterin vergeben, welche alle Eignungskriterien erfüllt und bei den Zuschlagskriterien am meisten Punkte erhält – also in Bezug auf Preis und Qualität am besten abschneidet.

Mit nachhaltiger Beschaffung gewinnen Ökologie und Solidarität

Genau bei diesen Eignungs- und Zuschlagskriterien könnten in Zukunft eben auch nachhaltige Kriterien eine grosse Rolle spielen. Denn dadurch würden Anbieterinnen, die sich nicht an minimale Standards halten, ohne weiteres ausgeschlossen. Anbieterinnen welche jedoch Bestrebungen im Bereich der Nachhaltigkeit verfolgen, würden klar bevorzugt (siehe Infokasten).

Damit wird auch der Druck auf Unternehmen erhöht, welche von der öffentlichen Hand Aufträge erhalten wollen: Um überhaupt noch für einen Auftrag in Frage kommen zu können, müssen sie gewisse nachhaltige Mindeststandards einhalten. Und um gegenüber der Konkurrenz zu punkten, sind weitere Bestrebungen punkto Nachhaltigkeit oder Preisreduktionen notwendig. In beiden Fällen gewinnen Ökologie und Solidarität. Denn bei Kosteneinsparungen könnten die damit gewonnenen finanziellen Mittel verwendet werden um eigene Massnahmen im Klimaschutz oder im Sozialbereich zu verstärken.

Kritiker*innen, welche eine restriktive Finanzpolitik verfolgen, mögen entgegnen, dass nachhaltige Beschaffungen zu teureren Preisen führen und die öffentliche Hand dadurch zusätzlich belastet wird. Doch eine gemeinsame Studie des Schweizer Forschungs- und Beratungsunternehmen INFRAS mit der Umweltschutzvereinigung PUSCH hat ergeben, dass in 60% der Fälle nachhaltige Produkte und Dienstleistungen sogar günstiger sind als der Standard. Andere wiederum werden sich Sorgen darüber machen, ob die Preisreduktionen, die nicht-nachhaltige Unternehmen gewähren müssen um für Aufträge künftig berücksichtigt zu werden, nicht auf die Arbeitnehmer*innen abgewälzt werden. Diese Angst ist nicht unberechtigt – es handelt sich dabei aber um ein grundsätzliches Problem, das unabhängig der nachhaltigen Beschaffung bereits heute besteht. Zwar dürfen wie bereits eingangs erwähnt bei Aufträgen der öffentlichen Hand nur Anbieterinnen berücksichtigt werden, welche mindestens die orts- und berufsüblichen Arbeitsbedingungen und somit die entsprechenden Löhne einhalten. Doch fehlen gemäss Aussagen der Gewerkschaft Unia die notwendigen Kontrollmechanismen um diese tatsächlich auch durchzusetzen. Durch erhöhte Transparenz, welche beispielsweise mittels ISAB, einem von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite getragenen Informationssystem, hergestellt wird, kommen nun aber erste wirksame Instrumente zum Einsatz. Unterstützt werden diese Instrumente durch eine öffentlich einsehbare Schwarze Liste, welche mit dem neuen Beschaffungsgesetz eingeführt wird. Fehlbare Anbieterinnen, welche auf dieser schwarzen Liste landen, können während bis zu fünf Jahren von Aufträgen der öffentlichen Hand ausgeschlossen werden.

Nun gilt es die Weichen zu stellen

Mit dem neuen Beschaffungsgesetz wird zwar die Basis dafür geschaffen, dass bei öffentlichen Beschaffungen nun auch stärker auf Kriterien der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit gesetzt werden kann. Doch mit dem neuen Gesetz ist dies noch längst nicht getan. Es braucht Bestrebungen auf allen Staatsebenen – Bund, Kantone und Gemeinden – damit Beschaffungen künftig tatsächlich nachhaltig erfolgen.
Die Stadt Biel kann dabei mit gutem Beispiel vorangehen und eine Vorreiterinnenrolle übernehmen. Dabei nimmt der Stadtrat eine wichtige Rolle ein: Es liegt an ihm im kommenden Frühling die Weichen für nachhaltige Beschaffungen zu stellen und die beiden Vorstösse von Lena Frank zu verabschieden. So kann auch die Stadt Biel sicherstellen, dass die von ihr beauftragen Unternehmen ihren Teil zur ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit beitragen.

Beispiele nachhaltiger Beschaffungskriterien

Entsorgung / Recycling: Der Anbieter verfügt über ein Entsorgungs- und Recyclingkonzept, welches eine hohe Wiederverwertbarkeit von Materialien sowie eine wirtschaftliche Entsorgung oder Aufbereitung verfolgt.

Arbeitsplätze für berufliche und soziale Integration: Der Anbieter verfügt aktuell oder bei Vertragsbeginn über integrative Arbeitsplätze.

Geringe Auslieferungsstrecke für die Mahlzeiten: Der Anbieter verfügt über Mahlzeiten-Produktionsstätten, welche möglichst kurze Strecken für die Auslieferung der Mahlzeiten in die Tagesschulstandorte der Stadt A bewirken.

Klimaneutralität: Der Anbieter verfolgt Bestrebungen, um bei seiner gesamten Tätigkeit die Klimaneutralität zu fördern oder zu kompensieren und erneuerbare Energien einzusetzen.

Qualität der eingesetzten Lebensmittel: Der Anbieter setzt auf eine hohe ökologische Erzeugung seiner eingesetzten Produkte. (in Verbindung mit Label- und Zertifikatsrating von labelinfo.ch)

Quelle: Dr. iur. Pandora Kunz-Notter; lic.rer.pol. Marc Bergmann: «Änderungen im neuen Beschaffungsgesetz» vom 18. Juni 2020: Universität Bern

Beispiel einer Beschaffung OHNE
und MIT Nachhaltigkeitskriterien

Für eine Ausschreibung verlangt Anbieterin A für den Auftrag einen Preis von CHF 1 Mio., während Anbieterin B einen Preis von CHF 925›000 verlangt. Beide Anbieterinnen sind qualitativ gleichwertig und erfüllen die minimal zu erfüllenden Eignungskriterien. Anbieterin A achtet jedoch stärker auf Nachhaltigkeit als Anbieterin B.

• In Beispiel A, in welchem der Preis mit 35% und die Qualität mit 65% gewichtet wird, gewinnt Anbieterin B aufgrund des geringeren Preises.

• In Beispiel B jedoch, bei welchem die Qualität nur noch mit 50% gewichtet wird und dafür die Nachhaltigkeit mit einer Gewichtung von 15% berücksichtigt wird, gewinnt Anbieterin A, da sie alle geforderten Zuschlagskriterien in Bezug auf Nachhaltigkeit erfüllt, während dies bei Anbieterin B nur teilweise der Fall ist.

• Anbieterin B könnte die Ausschreibung in Beispiel B jedoch weiterhin für sich gewinnen, wenn sie anstelle von CHF 925’000.- neu CHF 886’000.- verlangen würde.

Manuel Schüpbach ist 34-jährig, in Biel/Bienne wohnhaft und Mitinhaber einer schweizweit tätigen Unternehmensberatung. Er begleitet Bundesämter sowie bundesnahe Betriebe bei der Durchführung von Beschaffungen und unterstützt Start-Ups bei der Teilnahme an Ausschreibungen.

Illustration: Tobias Aeschbacher (Hyperraum)

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