Bieler Perlen Urbanismus

„Wir kämpfen und geben nicht auf“

Flammende Reden auf dem Zentralplatz, ein kraftvoller farbenfroher Umzug durch die Innenstadt und lautstarke Forderungen: Der Frauenstreik vom 14. Juni 2019 entwickelte in Biel  eine Austrahlung und Anziehungskraft, die immer mehr Menschen herbeiströmen liess. Im Herzen der Stadt verschafften verschiedene Rednerinnen ihrem Ärger über Ungleichbehandlung, Diskriminierung und Mängel bei der Gleichstellung von Frau und Mann Luft. Wir waren vor Ort und haben zugehört, Reden gesammelt und auch fotografisch das Geschehen eingefangen.

Mehr Gleichberechtigung, gleiche Löhne für gleiche Arbeit, Bekämpfung von Sexismus und sexueller Gewalt. Was schon 1991 beim ersten grossen schweizweiten Frauenstreik gefordert wurde, ist heute nicht minder aktuell und dringend. Leider, muss man sagen. Recht so also, dass 28 Jahre später nun alles nochmals aufs Tapet kommt – mit einer gewissen Portion Wut im Bauch. Diese war trotz überwiegend fröhlicher und friedlicher Stimmung auf dem Bieler Zentralplatz an diesem denkwürdigen 14. Juni 2019 durchaus auch zu spüren. 

Zum Beispiel bei der Aktivistin Emmanuelle Houlmann, die fürs Kollektiv Frauenstreik Biel/Bienne über Schule und Gleichstellung sprach.

„Chers enseignantes et enseignants, battez-vous pour vos salaires et abordez régulièrement le thème de l’égalité avec vos élèves. Privilégiez le matériel qui tord le cou aux stéréortypes“, forderte sie klipp und klar, und machte gleich anschliessend einen viel bejubelten Vorschlag: 

„Vous pouvez également étendre l’égalité de traitement aux parents et exiger une fois sur deux que des buffets canadiens pour les soirées de parents soient cuisinés exclusivement par les papas. Nous serions enchantés de découvrir leurs recettes secrètes.“

Die Schule spiele eine wesentliche Rolle bei der Erreichung der tatsächlichen Gleichstellung, beim Aufbau von Partnerschaften zwischen Frauen und Männern statt des Patriarchats, sagte Houlmann zum Schluss, und dann mit besagter Portion Wut im Bauch:

„Ne perdons pa la chance d’éliminer une fois pour toutes la plus vieille injustice du monde. Chères enseignantes et enseignants, chère directrices et directeurs, montrez-vous à la hauter de la tâche.“ 

Katrin Meister, SP-Politikerin und bei der Stadt Biel als Sachbearbeiterin Parlamentsdienste angestellt, sprach derweil über die öffentliche Hand als Arbeitgeberin. Punkto Gleichbehandlung, sozialer Gerechtigkeit und guten Arbeitsbedingungen nehme diese für sich in Anspruch, immer einen Schritt voraus zu sein, begann sie, und zeigte auch auf, wie das öffentliche Recht die Mitarbeitenden generell besser stelle als das Zivilrecht. Dann aber kam sie aufs Lohnsystem zu sprechen und den realen noch immer existierenden Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen – in Biel gemäss einer LOGIB Studie aus dem Jahr 2017 trotz allen Anstrengungen bei 13.2 % liegend. „Auch wenn die Privatwirtschaft zum teil noch schlechtere Werte aufweist, finde ich diesen Wert wirklich nicht fortschrittlich“, sagte Meister dazu und hob dann zwei besonders störende Gründe für diese Lohnunterschiede hervor: 

„1. In Biel werden für die Lohneinreihung unter anderem die Jahre der Erwerbstätigkeit berücksichtigt. Je mehr Erwerbstätigkeit jemand ausweisen kann, desto höhre wird er oder sie im Lohnsystem eingestuft. Das führt dazu, dass Frauen, die aufgrund von Kinderbetreuung während ein paar Jahren nicht erwerbstätig waren, automatisch tiefer eingestuft werden als ihre gleichaltrigen gleich gut qualifizierten männlichen Kollegen. Das kann nicht sein! Auch wenn die Arbeit als Mutter nicht entlöhnt wird und deshalb traditionellerweise nicht zur Erwerbsarbeit zählt, ist sie sehr anspruchsvoll und einer bezahlten Arbeit mindestens ebenbürtig. Es gibt keinen Grund, die erwerbslosen Mutterjahre bei der Lohneinreihung nicht ebenfalls zu berücksichtigen.“ 

„2. Die Stadt Biel beschäftigt ungefähr einen Drittel mehr Frauen als Männer. Trotzdem sind Frauen im oberen und mittleren Kader massiv untervertreten. Grund dafür dürfte sein, dass Kaderstellen oft wenig frauenfreundlich ausgestaltet sind. Teilzeitarbeit und flexible Arbeitszeitmodelle sind auf oberen Kaderebenen auch in Biel noch immer kaum denkbar. Das trifft Frauen gleich doppelt. Trotz allem sind es meistens sie, die sich zu Hause um Haushalt und Kinder kümmern. Daneben noch einer 100-Prozent-Arbeit nachzugehen, ist fast nicht möglich. Die Männer machen derweil Karriere. Wollen Paare die Rollen tauschen, wird es fast noch schwieriger: Teilzeitjobs sind für Männer noch schwieriger zu erhalten als für Frauen, egal auf welcher Karriereebene, Deshalb braucht es Teilzeitjobs für Frauen und Männer und auf allen Stufen der Karriereleiter, denn sie tragen entscheidend zur Gleichstellung von Frau und Mann bei. Die Stadt Biel könnte dabei noch mutiger vorangehen und neue, innovative Arbeitszeitmodelle stärker fördern.“ 

Damit nicht genug. Katrin Meister forderte ausserdem von der öffentlichen Hand, genügend Kita-Plätze zu schaffen und damit Wartelisten zu reduzieren, sowie Müttern und Vätern gleich lange Elternzeit zu gewähren. Und schloss dezidiert mit den Worten: „Wir Frauen kämpfen seit mehr als 100 Jahren für die Gleichstellung, und wir geben nicht auf!“ 

Bilder: Andreas Bachmann

image_pdfPDFimage_printPrint
Teilen: