Das Ideenbüro ist eine Anlaufstelle für Fragestellungen aller Art – innerhalb einer Primarschule. Das Besondere daran: Es sind die ältesten Kinder, in der Regel die 12-Jährigen der 6. Klasse, die während einer Schulstunde pro Woche im Ideenbüro arbeiten und die Kleineren beraten. Einblick von der Erfinderin und Entwicklerin selbst in ihr Konzept, das sich von Biel aus mittlerweile in die ganze Schweiz ausgebreitet hat und gar über die Grenzen hinaus.
Wenn Kindern zugetraut wird, dass sie Experten sind für Probleme im Schulalltag, braucht es bloss einen Raum, einfache Strukturen und geeignete „Werkzeuge“, um ein Ideenbüro umzusetzen. Jedes Kind kann freiwillig mitmachen und setzt sich gemäss seinen Interessen und Fähigkeiten ein. Die Motivation ist hoch, weil die Probleme echte Anliegen sind und die erarbeiteten Ideen und Lösungen dazu Wirkung zeigen. Die Kinder auf beiden Seiten fühlen sich wertgeschätzt und ernst genommen. Sie erfahren, dass Probleme lösbar sind, auch ihre eigenen, wenn man in einer vertrauensvollen Atmosphäre darüber sprechen kann und sich gegenseitig hilft.
Es geht zum Beispiel ums Ausgelacht werden, um Freunde, die einem weggenommen werden, Streit mit einem anderen Kind, nicht eingehaltene Abmachungen usw.
Am Anfang bekommen die Ideenbürokinder eine kleine Ausbildung und lernen das systemisch-lösungsorientierte Beraten anhand eines Beratungsprotokolls. Dies ist sozusagen ihr Roter Faden, an den sie sich halten können. So können sie praktisch nichts falsch machen. Je nach Selbstständigkeitsgrad der Kinder arbeiten sie zunehmend alleine im Ideenbüro. Es kann sein, dass die Schulsozialarbeit die Betreuung der Beratungsgruppe übernimmt und sie locker begleitet. Auf jeden Fall ist die zuständige Lehrperson verantwortlich und immer da als Ansprechperson, falls die Beraterkinder nicht weiterkommen oder es sonstige Schwierigkeiten geben sollte.
Es gibt mittlerweile über 150 Ideenbüros in der Deutschschweiz, drei in Deutschland und sogar eines in Mexiko. Die Erfahrungen aus all diesen Ideenbüros zeigen, dass Kinder gerne Verantwortung übernehmen. Gerade Kinder mit schulischen Schwierigkeiten erfahren im Ideenbüro, dass sie glaubhafte Experten für Schwierigkeiten sind, weil sie Vieles selber erlebt haben und sich deshalb besonders gut in die Kleineren mit ähnlichen Problemen einfühlen können. Sie erleben sich als selbstwirksam und können in einer ganz neuen Rolle aktiv sein und positiv gesehen werden.
Ein Beispiel: David kommt in die sechste Klasse und findet das Ideenbüro zuerst „blöd“, da wolle er dann sicher nicht mitmachen. Doch dann stehen die ersten Beratungen an, und er hat es sich von heute auf morgen anders überlegt. Die Themen interessieren und packen ihn, die kennt er aus eigener Erfahrung, da ist er Experte, das spürt er. So traut er sich das Beraten zu, auch ohne vorheriges Üben und Vorbereiten. Ich bin vorsichtshalber dabei – und komme aus dem Staunen nicht mehr heraus: David ist sehr einfühlsam, geht auf das Kind ein, fragt gezielt und virtuos nach und entwickelt mit dem ratsuchenden Kind gute Ideen zur Lösung. Auf die Frage, wie er dies so schnell gelernt habe, meint er: „Ich war in meiner bisherigen Schulzeit schliesslich x-mal im Ideenbüro mit einem Problem. So habe ich die Beratung von der anderen Seite her kennen gelernt – und ich hätte dann schon gewusst, was man mich hätte fragen sollen, um den Kern des Problems zu erkennen….“
Das Ideenbüro – ein Partizipationsprojekt
Wenn keine Fälle im Briefkasten sind, entwickeln die Kinder selber Ideen für ein lebendiges und friedliches Schulklima. In einer Bieler Schule haben sie einen Bilingue-Morgen organisiert, um das Verhältnis der beiden Sprachgruppen zu verbessern. Dazu haben sie als erstes die beiden Schulleiter eingeladen, um ihnen ihre Idee vorzustellen und bewilligen zu lassen. Oder es gab einen Powergirl-Morgen, weil die Mädchen in der Minderheit waren und einmal einen Morgen lang unter sich sein und ohne die Jungs lernen wollten. Die Grösseren boten Workshops für die Kleineren an: Fussball, Muffins backen und verzieren, einen Powergirlsong erfinden und performen, Kampfsport, Theater zum Thema „Mutig sein“ und Tanz. Oder der Hauswart fragt das Ideenbüro an für die Mitarbeit beim Kampf gegen das Littering rund ums Schulhaus.
So entwickeln die Schülerinnen und Schüler ein Demokratieverständnis: Sie erfahren, dass ihr Mitdenken gefragt und gewünscht wird und zu sichtbaren Ergebnissen führen kann. Sie lernen dabei in grösseren Zusammenhängen mitzudenken, ihre eigene Meinung vertreten, andere Meinungen anzuhören und sie zu akzeptieren, auch wenn sie nicht mit der eigenen Meinung übereinstimmen.
Durch die Möglichkeit der Mitbestimmung erfahren die Lernenden Wertschätzung, dadurch wird ihr Selbstwertgefühl gesteigert, was wiederum dazu führt, dass sie sich als kompetent erleben.
Kinder aus dem Ideenbüro Safnern erklären, was ihnen an der Idee gefällt:
Im Klassenrat diskutieren die Kinder aus Safnern über die Kinderrechte und überlegen zum Schluss, welche Rechte im Ideenbüro besonders gut umgesetzt und gelebt werden können
1. Welches Recht ist euch besonders wichtig – und warum?
Recht auf Frieden:
- Krieg schädigt die Psyche.
- Auch der Streit zuhause und in der Schule.
- Kinder sollen nicht einen Krieg mitmachen müssen.
- Frieden hat eigentlich mit allen Kinderrechten zu tun: Ohne Frieden kann kein Recht umgesetzt werden.
Recht auf eine eigene Meinung:
- Wenn man als Familie wegzieht, möchte man vielleicht lieber bleiben und auch etwas dazu sagen.
- Bei Gruppenarbeiten dürfen alle mitreden.
- Dass man nicht alles essen muss, wie die Erwachsenen auch.
Recht auf elterliche Fürsorge:
- Dass man Leute hat, die zu einem schauen.
- Dass man wegen schlechten Noten nicht verprügelt wird.
- Dass man bei geschiedenen Eltern zu beiden gehen kann.
2. Auf welches Recht möchtet ihr nicht verzichten?
Recht auf Gesundheit und Medizin:
- Sonst könnten wir sterben.
- So kann man länger leben.
- Sonst würde es viele Kinder gar nicht mehr geben.
Schutz vor Gewalt/Recht auf Frieden:
- Sonst kommt jemand und schlägt uns einfach zusammen. Kinder können sich weniger gut wehren.
- Die Erwachsenen könnten mit uns machen was sie wollen und wir wären ihnen ausgeliefert.
- Wir möchten als Kinder nicht in den Krieg ziehen müssen.
Recht auf Freizeit:
- Wir möchten gerne Zeit zum Spielen haben und viel draussen sein.
- Um unsere Energie auszuleben.
- Um Freundschaften zu pflegen.
- Um seine Hobbies auszuüben.
Recht auf elterliche Fürsorge:
- Damit jemand für mich da ist.
- Als Kind kann man nicht alleine leben.
Recht auf Nahrung und einem Zuhause:
- Sonst hast du kalt und verhungerst.
- Sonst kannst du dich nicht entwickeln.
Recht auf Gleichheit:
- Um angenommen zu sein, gleich welches Aussehen oder welche Religion wir haben.
Recht auf Bildung:
- Weil ich ein grosses Ziel vor Augen habe.
- Um später einen guten Job zu finden und genug Geld zu verdienen.
3. Fehlt noch ein Recht?
- Eigentlich nicht, wir haben in der Schweiz alles was wir brauchen und es geht uns gut.
- Recht darauf, bei neuen Erfindungen mitzuhelfen und mitzudenken.
- Recht auf Mitbestimmungstage zuhause.
- Recht auf Mitmachen bei Abstimmungen bei uns im Dorf. Stimmrecht für Kinder. Die Erwachsenen müssten uns jeweils genauer erklären, um was es geht.
4. Welche Kinderrechte können im Ideenbüro besonders gut gelebt/umgesetzt werden?
Recht auf Gleichheit:
- Wir hören immer beide Seiten an.
- Wir sind unparteiisch.
- Alle Kinder sind im Ideenbüro willkommen.
Recht auf Schutz vor Gewalt:
- Wir helfen den Kindern, die bedroht werden.
- Wir unterbrechen den Streit und stellen uns dazwischen.
- Wir gehen dazwischen und schützen die Kinder.
Recht auf Frieden:
- Wir lösen den Streit und sorgen für Frieden in der Schule.
- Wir unterstützen den Frieden.
- Jedes Kind wird gleich behandelt.
Recht auf eigene Meinung:
- Wir sprechen offen miteinander.
- Wir hören einander zu.
- Jedes Kind darf seine Meinung sagen.
- Wir nehmen einander ernst.
- Wir sind unparteiisch und helfen allen.
Text und Fotos:
Christiane Daepp ist passionierte Lehrerin im Unruhestand und Gründerin und Multiplikatorin des Ideenbüros. Sie sieht sich als Anwältin der Kinderideen und Hüterin der Freiräu- me für Kinder und Erwachsene.
Geschichte des Ideenbüros – Meilensteine
- 2002 Christiane Daepp gründet das erste Ideenbüro zusammen mit Kindern der 4. und 5. Klasse in einer Schule in der Nähe von Biel
- 2004 Überraschender 1. Preis beim Wettbewerb zum Interkulturellen Dialog von UNICEF Schweiz! Das Preisgeld dient der Verbreitung der Idee.
- 2005 Gründung des Vereins ideenbüro.ch
- 2008 Auszeichnung von Christiane Daepp als Social entrepreneur durch Ashoka.org, einer weltweiten Organisation.
- 2011 Best Practice Prize der Jacobs Foundation
- 2021 Es gibt ca. 150 Ideenbüros in der Schweiz und drei im Ausland (Deutschland und Mexiko)