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Blumen aus dem Asphalt

Nur wenige Schritte vom Bahnhof entfernt, liegt das rund 8000 Quadratmeter grosse Areal des ehemaligen Bieler Schlachthofs. Bis vor kurzem waren die historischen Gebäude wegen der geplanten Westast-Autobahn vom Abriss bedroht. Nun regt sich neues Leben… Am 29. Mai lädt die IG Schlachthof-Kulturzentrum zum Ortstermin auf das einmalige Gelände. Ihre Vision: Ein Kultur- und Gemeinschaftszentrum, von der Bevölkerung, für die Bevölkerung…

Sogar für die meisten Bielerinnen und Bieler ist das Areal zwischen Salzhaus- und Murtenstrasse Terra incognita – unbekanntes Niemandsland. Viele haben noch nie etwas über den Bieler Schlachthof gehört und wissen nicht, was sich hinter den hohen Mauern und verfallenen Schutzzäunen verbirgt. Und doch, in Fussdistanz zum Bahnhof, in direkter Nachbarschaft zu Berufsschulen, Kunstschule und (zukünftiger) Fachhochschule gelegen, stellt das Schlachthof-Areal den Übergang vom lebendigen westlichen Knotenpunkt Biels zum Wohnquartier Mühlefeld dar.

Wer das öffentlich zugängliche Areal betritt, staunt schnell über dessen Grösse, den schmucken Innenhof, die verschnörkelte Fassade und die grossen Fensterfronten. Das ehemalige Hauptgebäude des Schlachthofs wirkt wie aus der Zeit gefallen, wie es da zwischen parkierten Autos, Paletten und zwischengelagertem Material steht. Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, um sich den Hof begrünt und belebt vorzustellen, etwa als Apéro-Treffpunkt an einem lauschigen Sommerabend…

Angefangen hat die Geschichte des Bieler Schlachthofs Mitte des 19. Jahrhunderts. 1869 machten die Behörden Druck, sie wollten das Schlachten von Schweinen in allen öffentlichen Gassen verbieten. 1873 kaufte die Stadt das Areal «bei der Sandbrücke» für den Bau eines städtischen Schlachthofs. Dieser wurde 1876 eingeweiht und in den folgenden Jahren laufend erweitert.

Heute ist der Bieler Schlachthof das älteste noch erhaltene Areal dieser Art im Kanton Bern und müsste eigentlich unter Denkmalschutz stehen. Weil man aber bis vor wenigen Monaten davon ausging, dass es der geplanten Westast-Autobahn weichen müsse, wurde es bisher nicht ins Bauinventar der Denkmalpflege aufgenommen.

Nachdem der Schlachtbetrieb im Herbst 1992 eingestellt worden war, vermietete die Stadt die Innen- und Aussenräume zu günstigen Preisen an Zwischennutzerinnen und -nutzer. Ein Grossteil der Räume dient heute als Lager für Bau- und andere Utensilien. Wer sich auf dem Gelände umsieht, findet aber auch ein Künstleratelier, ein Musik- und Videostudio, Proberäume, einen Weinkeller. Im ehemaligen Verwaltungsgebäude ist das Contact eingemietet, auf dem grossen asphaltierten Aussenplatz stehen Occasion-Autos und warten auf Käuferinnen und Käufer…

Ab und zu verirrt sich ein Besucher, eine Besucherin auf das Gelände und wundert sich über die versteckten Perlen, die es hier zu finden gibt. Meist befindet sich der ehemalige Schlachthof jedoch in einer Art Dornröschenschlaf. Jetzt, nachdem das Autobahnprojekt endgültig vom Tisch ist, müsste das Areal jedoch zu neuem Leben erweckt werden: Es ist höchste Zeit, den Zerfall der historisch wertvollen Gebäude aufzuhalten – und gemeinsam mit den aktuellen Nutzerinnen und Nutzern das Potenzial dieses Ortes neu zu entdecken.

Genau das will die IG Schlachthof-Kulturzentrum, zu der sich eine Handvoll Quartierbewohnerinnen und -bewohner aus dem Mühlefeld Anfang Jahr zusammengefunden haben. Seither haben sich ihnen zahlreiche weitere Interessierte aus der ganzen Stadt und Region angeschlossen. Ihre Vision: Ein öffentlich zugängliches, belebtes Schlachthof-Areal – von der Bevölkerung für die Bevölkerung…

Ihre Überzeugung: Für die Stadt Biel bietet das soziokulturelle Potenzial dieser in Vergessenheit geratenen Liegenschaft eine einmalige Chance. Gemeinsam mit allen Interessierten wollen sie deshalb ein Netzwerk schaffen, wo Ideen zur künftigen Gestaltung des Schlachthof-Areals reifen und einander gegenseitig beflügeln können.

Nachdem in den letzten Monaten auf www.schlachthof-kulturzentrum.ch bereits viele bunte Ideen und Wünsche zusammengekommen sind, lädt die IG nun zum Ortstermin:

Am 29. Mai können sich alle Interessierten auf einem Rundgang über die Vergangenheit und Gegenwart informieren und gemeinsam mit anderen am Zukunftsfaden weiterspinnen. Auf dass schon bald Blumen aus dem Asphalt spriessen, die Madretschschüss aus ihrem unterirdischen Bett befreit und ans Tageslicht geholt wird, die altehrwürdigen Gebäude die dringend notwendige Auffrischung erhalten und neu belebt werden…

Gabriela Neuhaus ist im Mühlefeld aufgewachsen. Bereits 2008 unterstützte sie den LQV (Verein Lebensqualität im Quartier) gegen die drohende Quartierzerstörung durch die geplante Autobahn. Ab 2016 Engagement in der BürgerInnenbewegung gegen den Westast, u.a. Betreiberin der Website www.westast.ch und Mitbegründerin der IG Häb Sorg zur Stadt.

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