Sie hatten einen guten Job und reichlich Einkommen. Trotzdem verliessen Loa Buchli und Daniela Räber die Komfortzone, um Träume wahr werden zu lassen und das zu leben, was ausser Geld noch zählt. Ein Gespräch mit zwei mutigen Frauen über Downsizing, Sinnfindung und das was mehr wird im Weniger.
Ihr habt beide euer Leben ziemlich umgekrempelt. Was waren die Auslöser?
Daniela: Es ging mir einfach zu wenig gut in meinem Alltag. Ich kam abends nach der Arbeit nach Hause und mochte nichts mehr anderes als Fernsehschauen. Ich habe das lange Zeit weggesteckt und als Schwäche von mir empfunden. Als dann aber noch eine schlimme Migräne dazukam, mit der neurologische Ausfälle einhergingen, das Gefühl einer Lähmung in der rechten Gesichtshälfte und der rechten Hand, wurde mir klar: das kann es einfach nicht sein, das ist nicht der Sinn meines Lebens. Und also begann ich rauszuschmeissen, was mich störte, reduzierte mein Pensum auf 80 Prozent, dann auf 60 Prozent und fragte mich: was will ich eigentlich?
Loa: Bei mir war das anders. Ich habe meinen Job als Sektionschefin Ökonomie beim BAFU geliebt. Den zu bekommen, war für mich wie ein 6er im Lotto gewesen. Aber ich trug auch schon lange den Traum von einem eigenen, kleinen Restaurant mit mir herum. Auf einer Skitour im Valle Maira habe ich mich in diese abgelegene Gegend verliebt. Ich besuchte das Tal im Winter und im Sommer. Und als ich Leute kennenlernte, die bereit waren mich zu unterstützen, wusste ich, jetzt möchte ich es wagen. Das war der pull-Faktor, der push-Faktor auf der anderen Seite, dass ich realisierte, dass ich mich in meinem Job nicht mehr vorwärts sondern im Kreis bewegte. Also verliess ich die Komfortzone.
Wie hat sich der Moment der Kündigung angefühlt?
Loa: Super. Aber wichtiger war der Prozess davor, bis ich bereit war, den Schritt in die Unsicherheit zu machen und zu vertrauen, dass sich mein Traum verwirklichen wird. Ich wusste ja wohin ich wollte, aber hatte zu diesem Zeitpunkt das Restaurant noch nicht.
Überrascht hat mich, wie einfach der Abschied beim Bundesamt für Umwelt war. Obwohl ich mich doch sehr mit meinem Job identifiziert hatte, war die Sache nach dem letzten Arbeitstag für mich abgeschlossen. Es gab nichts mehr, das mich beschäftigte. Nur an die Menschen dort denke ich noch, die Freundschaften, die in dieser Zeit entstanden sind.
Daniela: Bei mir war der Moment der Kündigung ganz einfach. Der Entscheid dazu fiel spontan beim Intro-Seminar von John Strelecky & Friends Hamburg. Es ging um Werte. Mindestens drei, die mir wichtig waren, konnte ich in meinem Job als Mediendidaktikerin im Bereich E-Learning einfach nicht haben: Abenteuer, Verspieltheit, und Sorge tragen zur Welt. Schon nach dem ersten Seminar-Tag wusste ich: ich muss kündigen. Mein Umfeld war nicht überrascht und meine Freundinnen glaube ich froh, sich meine Klagen nicht mehr anhören zu müssen. Aus Loyalität kündigte ich mit sechsmonatiger Frist. Jetzt, da ich mich endlich befreit hatte, noch so lange zu bleiben, war dann aber schmerzlich. Es war auch eine Zeit, in der ich mir viele Gedanken und Sorgen machte betreffend finanzieller Sicherheit, Altersvorsorge und solchen Sachen.
Und wie fühlt es sich jetzt an?
Daniela: Es tut gar nicht so weh, viel weniger Einkommen zu haben. Denn je mehr ich reduziere, desto einfach und auch günstiger wird das Leben. Das ist meine Erkenntnis der letzten Wochen. Gerade habe ich mich auch noch von meiner Wohnung befreit. Ich brauch sie nicht mehr. Ich gehe für zwei Monate nach Portugal und wandere danach angelehnt an der „Le Grand Tour de Suisse“ rund um die Schweiz. Wer weiss, was dann kommt. Meinen entfernteren Bekannten macht das ein bisschen Angst, aber eine Freundin hat sofort gesagt: du weisst, bei mir hast du immer ein Bett und Futter.
Loa: Das ist schön, oder? Ich erlebe auch solche Momente. Manchmal sind es gar mir bis anhin unbekannte Leute, die Hilfe anbieten. Ein Pärchen, das mal bei mir essen kam und ganz begeistert war, fragte mich nach meiner Website. Ich hatte zwar eine, die aber kaum zu finden war im Internet. Sie sagten, sie kennen sich da aus, und boten an, sich darum zu kümmern. Einfach so. Überhaupt habe ich auf meinem Weg in die Selbstständigkeit in den letzten Jahren so viele Geschenke bekommen.
Daniela: Es ist, weil wir das machen, was genau unser Ding ist. Das weckt in den Leuten Lust, mitzumachen und zu unterstützen.
Ich habe das in den letzten Jahren, in denen ich mein Konfimaa-Unternehmen aufgebaut habe, sehr stark zu spüren bekommen. Unterstützung auf allen Ebenen. Die Leute möchten Teil von dem sein, was sie begeistert und wo sie Herzblut spüren.
Loa: Und genau deshalb machen wir es ja auch, wegen diesem emotionalen Lohn, dem Beziehungslohn. Du gibst viel, bekommst aber auch viel. Damals in meinem alten Leben hatte ich zwar nicht das Gefühl, dass es mir an etwas fehlt. Ich hatte einen sinnvollen Job und genügend Geld, um in gute wertvolle und nachhaltige Produkte zu investieren. Im Nachhinein merke ich aber wie arm es an unerwarteten, berührenden Momenten war.
Natürlich durchlebe ich auch schwierige Momente, Durststrecken, wie jetzt in der 3-monatigen Winterpause, mit Existenzängsten, weil auch nach der zweiten Saison in meinem Restaurant im Valle Maira finanziell nichts herausschaut. Ich spüre auch, dass ich immer noch extrem leistungsgetrieben bin und die Ruhezeiten nicht richtig geniessen kann. Trotzdem fühlt es sich richtig an, alles auf eine Karte gesetzt zu haben. Ich habe Erfahrungen gemacht, die unbezahlbar sind, und gehe aus jeder Krise gestärkt hervor.
Daniela: Ich will um keinen Preis zurück, auch wenn ich viel weniger Geld zur Verfügung habe. Ich befasse mich jetzt den lieben langen Tag mit Sinn und Glück, mit dem, was wirklich wichtig und bedeutsam ist, für mich und für die anderen, und schreibe dazu E-Books und Blogserien. Dazwischen realisiere ich Filme für Kleinunternehmerinnen – mein Brötchenjob, der aber passt, weil diese Leute ja auch auf der Suche nach ihrem Ding sind. Ich mache das, was zu mir passt.
Was ist denn Mehr geworden im Weniger?
Loa: Vor allem der Platz für Beziehungen. Früher konnte ich mir viel leisten. Dann aber nach der Kündigung, als ich in einer Übergangszeit in der Bar Hasard beim Bieler Bahnhof jobbte, galt es plötzlich mit Fr. 2000.– durchzukommen. Ich konnte nicht mehr einfach einen Guide buchen, wenn ich Lust auf eine Skitour in den Bergen hatte, den ich dafür zahlte, meinen Rhythmus zu gehen. Ich musste stattdessen einen Freund fragen, ob er mitkommen wolle. Das kostete Überwindung, denn vielleicht war ich ihm zu langsam? Das beglückende Gefühl, wenn ich über meinen Schatten sprang, war es allemal wert Und ich traf mich mit Freunden auch nicht mehr zum Essen im Restaurant. Ich sagte ihnen: wir können spazieren gehen oder zu Hause zusammen etwas kochen. Das hat ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Es hat sich für mich nie wie Verzicht angefühlt. Weniger und bewusst konsumieren war mir immer schon wichtig – auch schon als meine finanziellen Möglichkeiten grösser waren. Aber erst jetzt lebe ich richtig authentisch, was mir wichtig ist.
Daniela: Für mich ist es vor allem eine Frage der Priorisierung. Ich will viel Freiraum und Zeit haben, Zeit für Menschen, aber auch Zeit, um draussen zu sein, in Bewegung die Welt zu entdecken. Das empfinde ich als unglaublichen Schatz mit hundert Mal mehr Wert als materiellem Lohn. Vorher hatte ich keinen Raum, etwas auszuprobieren. Jetzt nehme ich ihn mir und verlasse immer wieder die Komfortzone, um die Perspektiven zu erweitern. Dann entsteht etwas, oder auch nicht. Es geht um Erlebnisse. Ich stelle mir vor, dass ich, wenn ich mal den Löffel abgebe, zuerst in ein Zwischenräumchen gelange und dort gefragt werde: „Und, wie wars?“ Als ich noch angestellt war, lautete die Antwort: „Ich habe gearbeitet, einen coolen Job gehabt, war angesehen, habe schön gewohnt und viel verdient.“ Aber das kann doch nicht alles sein. Ich will dann vielmehr von der wunderschönen bunten Welt berichten, und von all dem Reichtum – seien es eindrückliche Landschaften, Bäume, die Stille, Begegnungen, Gespräche, Gepflogenheiten und Regeln anderer Menschen, Spezialitäten und ihre Geschichte – einen prall gefüllten Sack mit dabei haben.
Erzählt bitte noch vom Beginn eures Downsizing
Loa: Das war eine intensive Zeit. Es ging darum, innerhalb von drei Monaten von einer Wohnung in eine kleine Mansarde zu ziehen und dabei alles überflüssige wegzugeben, ohne Abfall zu generieren. Ich fuhr mit Veloanhängern voll Sachen hier und dort hin, suchte gar Abnehmer für gebrauchte Plastiksäcke, und für die mir „wertvoll“ erscheinenden Sachen ein Plätzchen bei Freunden. Ich war danach fix und fertig. Aber es war wichtig.
Daniela: Bei mir begann es, als ich letzten Sommer auf dem Trans Swiss Trail quer durch die Schweiz gelaufen bin mit ganz wenig Hab und gut dabei. Es hat so stimmig und ideal angefühlt, und gleichzeitig so absurd, eine Wohnung zu haben, wo ich kaum mehr bin, aber der Kühlschrank läuft und die Heizung und… Also begann ich zu überlegen: welche Sachen brauche ich noch, was ist mir wichtig, was nicht. Das war am Anfang schwierig. Aber irgendwann ist man drin und merkt wie schön und befreiend das ist. Jetzt ist alles in einem Bastelräumchen von 20 Quadratmetern verstaut und ich ziehe wieder los. Es kann eins bis drei Jahre dauern bis ich um die Schweiz gewandert bin, mehr weiss ich noch nicht.
Was spornt euch an auf eurem Weg?
Daniela: Ermutigung durch andere. Ganz konkret für das kommende Abenteuer sind es Menschen, die ebenfalls losgezogen sind, wie die Bieler Martina Zürcher und Dylna Wickrama, die mit einem Wohnbus die Welt bereisen, oder Stephan Meurisch, der von München nach Tibet gelaufen ist. Zu merken: ah, das geht bei anderen, bekräftigt mich.
Loa: Ja, inspirierende Beispiele wirken stark. Nach dem Motto: Wenn die das konnten, kann ich das auch. Dazu kommen bei mir Leute aus meinem Umfeld, die – nebst vielen kritischen Stimmen – gesagt haben: „Habe schon immer gewusst, du machst das. Super. Probiers.“
Loa Buchli, 48, waren Umweltthemen schon immer wichtig. Deshalb hat sie Volkswirtschaft studiert und in Umweltökonomie doktoriert. Sie war mehrere Jahre im Bundesamt für Umwelt als Sektionschefi n tätig. Während dem Studium hat sie ein Erasmus-Jahr in Mailand absolviert. Seit dieser Zeit ist sie im Herzen mit Italien verbunden. Das Berg-Gen, weshalb sie in der Abgeschiedenheit des Valle Maira aufblüht, kommt von ihren Grosseltern – der Grossvater aus dem Bündner Safi ental, die Grossmutter Jurassierin. Trotzdem kann sie es sich sehr gut vorstellen, in Zukunft in Biel oder Umgebung kulinarisch zu wirken. www.casaloa.ch
Daniela Räber, 50, ist dipl. Erwachsenenbildnerin HF und hat sich schon als Teenager nach einer komplexen Rückenoperation gefragt, was im Leben wirklich wichtig ist. Neben Mandaten als Ausbildnerin für Laienseelsorger, Jobcoach und sozialpädagogische Mitarbeiterin begleitete sie in ihrer eigenen Praxis Frauen, die unter den Folgen von Missbrauch und psychischer Gewalt litten, auf dem Weg in ein besseres Leben. Zufällig geriet sie in die Welt des e-Learnings und arbeitete mehrere Jahre als Mediendidaktikerin und Projektleiterin. Heute ist sie möglichst oft in der stillen Natur auf Entdeckungsreise. Auf ihrem Computer, der im Rucksack steckt, schneidet sie YouTube-Filme für Kleinunternehmerinnen und entwickelt Kurse, Bücher und eBooks, die Menschen helfen, ihr Leben wirklich zu leben. www.besser-als-zuvor.ch