Das Buch «Sprudelquell und Stiller Ozean» von Anita Wysser beschreibt die Begegnung und Freundschaft der Autorin mit Pia Riedwyl (1961 – 2007) – einer Bieler Persönlichkeit, deren Leben reich ist an körperlicher und gesundheitlicher Einschränkung, und deren Lebensfreude und Lebenslust dennoch uneingeschränkte Tiefen erreichen. Anita Wysser erzählt gleich selbst, wie es zu dem Buch kam.
Pia Riedwyl war unsere lebenslustige Nachbarin im Möösliquartier, die spritzige Gotte von unserem Sohn, die saure Zungen und Kinder über alles liebte, und eine wunderbare Freundin, die ihr offenes Herz, den wachen Geist und das zugewandte Ohr allen schenkte, die mit ihr über Gott und die Welt sprechen wollten oder auch einfach über schön hingezauberte Kringel aus der Brissago-Zigarre, die grössten Kaugummiblasen und wie man die klebrigen Überreste aus dem Gesicht kriegt…
Pia wog weniger als 40 Kilo, ging mühsam an Krücken, sass jedoch meistens im Rollstuhl, hing während über 25 Jahren drei bis vier Mal wöchentlich an der Dialyse, musste 19 Operationen über sich ergehen lassen. Sie begann mit 11 Jahren unter schwerer Polyarthritis zu leiden, die die Gelenke kaputt machte, den Körper völlig verstellte und fast unerträgliche Schmerzen verursachte. Und doch wirkte Pia so gesund, heil und ganz, dass man oft vergass, wie krank sie eigentlich war.
Zitate aus dem Buch:
«Du versprühst mehr Seelen- und Lebenskräfte als ein Messerschleifer Funken an seiner Maschine zum Herumsausen bringen kann», sagte ein lieber Freund.
«Ich glaube, mir ist einfach eine fröhliche Seele geschenkt worden und ein harter Schädel,» sagte Pia von sich.
«Dennoch habe ich schon als Kind viele einsame Kämpfe ausgefochten, in grauenvolle Abgründe geschaut, den Boden unter den Füssen verloren und meine Träume in einem Meer von Tränen davonschwimmen sehen. Was wird aus meiner grossen Liebe zum Sport und zur Musik? Ich will doch Eiskunstläuferin, Schwimmerin und eine begnadete Geigerin werden. Was wird aus meinem Wunsch zu heiraten, aus meiner Sehnsucht, Kinder, eine Familie zu haben. Und wo ist jetzt dieser liebe Gott, der mich behütet?
Fragen über Fragen, auf die es keine Antworten gab.
Und doch habe ich gelernt meine Träume zu leben, ich entwickelte ein Talent, Dinge die ich nicht tun oder leben konnte, durch andere zu ersetzen; lernte neue Wege zu gehen und mich nicht zu fixieren: wenn ich nicht mehr Geige spielen kann, singe ich – ich lernte Ressourcen- und nicht Mangelorientiert zu leben. In den Tiefen meiner Krankheit habe ich immer nach offenen Fenstern Ausschau gehalten, in schwierigen Aspekten die guten gesehen.
Ich liess mich nicht behindern, sondern schuf Freiheit, gab freien Lauf so weit als möglich. Was mir half war der Zugang zu meiner inneren Stimme, die mich immer wieder aufforderte weiterzugehen und meine Träume zu leben.
Unsere Familie lernte in der Gegenwart zu leben. Ganz im Hier und Jetzt. Darin liegt vielleicht die grösste Glücksformel. Meine Familie war gross und flexibel. Wir waren eine fröhliche Familie, es wurde viel gelacht, es gab Schalk, Witz und eine gute Portion Frechheit vonseiten der Brüder. Meine Seele wurde im Kreis meiner Lieben immer wieder mit Leichtigkeit und Lebensfreude genährt.
So kann ich es als Glück bezeichnen, dass es mir meistens gelingt, die Sinnhaftigkeit des Lebens zu bejahen, so wie es sich mir manifestiert. In der Tiefe ist diese stille Kraft da, dieses bedingungslose Annehmen und Angenommensein.
Auch den Traum zu heiraten konnte ich verwirklichen. Mein Mann und ich sind beide sehr kommunikativ und können rege mitteilen, welche Schritte anstehen und gegangen werden müssen. Unabhängigkeit und Freiheit sind für uns hohe Werte. Eine kostbare Stütze ist unser starkes und grosses Netz von Menschen die mittragen.»
Das Buch ist angereichert mit Texten von Pia Riedwyl nahe stehenden Menschen.
Ihr Chef schreibt:
«Wenn im Blauen Kreuz zwei Geräusche auftauchten – das Klacken der Krücken und das helle Pfeifen eines Liedchens, dann wusste man: Pia ist da – und das Stimmungsbarometer schoss in die Höhe.
Sie hat so viel Schwung in den Laden gebracht, immer ermutigend, bereit alles anzupacken. Und wie konstruktiv wir fighten konnten! Bei Unstimmigkeiten kämpfte sie immer lustvoll. Wir hatten viele spannende Auseinandersetzungen. Die würzigsten Pfefferkörner spickte sie in die Diskussionen. Gleichzeitig war sie die Seele der Geschäftsstelle und eine Mutmacherin, gerade für andere Frauen. Sie war eine Kämpferin und gleichzeitig das sonnigste Gemüt, das mir je über den Weg gelaufen ist.»
In der Todesanzeige steht:
«Dein unerschütterlicher Glaube in die Menschen, Deine tiefe Hoffnung auf das Gute und Dein verschwenderischer Umgang mit Liebe, Deine dem Leben zugewandte Zuversicht, Energie und Ausstrahlung werden uns fehlen.
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die Liebe aber ist die grösste unter ihnen.»
Text:
Anita Wysser, geboren 1959 und aufgewachsen in Kölniz, gibt als Flötistin Konzerte im In- und Ausland und unterrichtet Kinder und Erwachsene an der Musikschule Aarberg und Biel. Sie lebt im Bieler Möösli-Quartier, wo sie ihre Nachbarin Pia Riedwyl kennen gelernt und durch sie die Frede am Schreiben entdeckt hat.
Das Buch „Sprudelquell und stiller Ozean“, das 2010 im Eigenverlag in einer Auflage von 700 Exemplaren erschien, ist leider vergriffen. Wer ein Exemplar ausleihen möchte, kann sich aber melden unter: info@vision2035.ch