Agroforst nennt sich eine Praktik, die Bäume und Landwirtschaft wieder kombinieren will. Ihre Ausdrucksformen sind so vielfältig wie ihr Potenzial.
Bäume und Landwirtschaft: das ist in den geläufigen Denkmustern meist nicht miteinander kombinierbar. In der Tat, betrachtet man die Erde von oben, herrscht häufig eine klare Grenze zwischen Wäldern und Feldern beziehungsweise Weideland. Doch dem war nicht immer so. Die gemeinsame Nutzung verschiedener Vegetationen auf derselben Fläche geht weit in die Traditionen bäuerlichen Handwerks in fast allen Regionen der Welt zurück. In unseren Breitengraden boten Laubhecken den Tieren zusätzliche Nahrung und den Bauern Feuerholz und Reisig. Kopfweiden dienten der natürlichen Entwässerung und wurden intensiv genutzt als Futterlaub, Feuerholz oder Flechtmaterial. Fruchtbäume standen fast auf jeder Weide und auf vielen Äckern. Erst mit der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft im Laufe des 20. Jahrhunderts verschwand ein Grossteil der Bäume aus den landwirtschaftlich genutzten Flächen. Faktoren wie Konkurrenz um Nährstoffe und Licht oder der Einsatz immer grösserer Maschinen verbannten allmählich die Bäume, um Platz für Monokulturen zu schaffen.
Mit der Erfindung des Begriffs„agroforestry“in den 1970er-Jahren wurde diese „kombinierte“Landwirtschaft sozusagen wiederentdeckt und in der Folge auch zunehmend erforscht. Renommierte Institutionen wie die Food and Agriculture Organisation FAO, eine Sektion der UNO, oder das französische Forschungsinstitut INRA zählen heute dutzende Vorteile von Agroforstsystemen auf. Von Erosionsschutz und Humusaufbau ist die Rede. Von erhöhter Biodiversität und der Schaffung von Mikroklimen, die günstig auf die Entwicklung der Flora einwirken. Der CO2-Erhöhung sollen Agroforstsysteme entgegen wirken und dem Bauern mehr Einkommen generieren. Die Vorteile scheinen immens.
Baumgärten auf dem Eulenhof
Doch wie genau sieht Agroforesterie aus? Auf dem Eulenhof im aargauischen Fricktal öffnet sich dem Betrachter auf den ersten Blick ein wildes Panorama, das sich beim zweiten Hinschauen allerdings als klar strukturierte Landschaft erweist. Baumreihen im Abstand von 30 bis 50 Metern gliedern die Gemüse-, Weide- und Ökoflächen in kleine Parzellen. Hochstämmige Kirsch- oder Apfelbäume wechseln sich ab. Dazwischen füllen niederere Zwetschgenbäume, Holunder, Mispeln, Speierlinge, Birnenbäume, Hagebutten oder Schwarzdornbüsche den Platz.
Edi Hilpert ist einer der Bewirtschafter des Eulenhofs. Als er im Jahr 2007 damit begann, Bäume zu pflanzen, wusste er noch nichts vom Trendwort Agroforst. Er bezeichnet seine Landschaft denn auch lieber als Baumgarten. Seine Beweggründe waren vor allem ökologischer Art. Biodiversität ist ihm ein wichtiges Anliegen. Mit der vielfältigen und abwechslungsreichen Nutzung der rund 20 Hektaren des Eulenhofs würde extrem viel Lebensraum für unzählige kleine vergessene Tiere und Pflanzen geschaffen. Zudem passen die Hochstammbaumreihen gut ins Direktzahlungssystem der Schweizer Landwirtschaftspolitik. Derartige ökologische Ausgleichsflächen werden vom Staat mit Subventionen unterstützt. Zusammen mit dem Erlös der Ernte ginge es für sie„gerade so auf“, sagt Hilpert.
Entlang einer der Baumreihen blüht Zichoriensalat aus der Vorkultur. Es sei wichtig, direkt neben den Bäumen den Boden von Anfang an immer wieder zu bearbeiten, meint Edi Hilpert:„Damit wird der Baum erzogen, seine Wurzeln in die Tiefe wachsen zu lassen.“Dies ermöglicht den Bäumen und den Kulturen in seinem Umfeld eine bessere Wasser- und Nährstoffversorgung. Tabea Münger, verantwortlich für den Gemüsebau auf dem Eulenhof, beobachtet, dass sich die Baumreihen vor allem in Bezug auf die Schädlingsregulierung positiv auf die Gemüsekulturen auswirken. Der Mix aus Kulturfläche, Sträuchern, Bäumen und Ökowiesen sei optimal für die Natur und halte die Nützlinge und Schädlinge in einem guten Gleichgewicht. Selbstverständlich entstehen auch Nachteile wie Schatten oder mehr Mäuse und Schnecken. Die Herausforderung besteht darin, wie mit solchen neuen Gegebenheiten umgegangen wird, etwa mit dem vermehrten Aufstellen von Mausefallen oder dem Anbau von Kulturen, die schattigere Standorte bevorzugen.
Der vielfältige Wald
Ganz anders sieht es auf den zwei Versuchsflächen der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen aus. Die Flächen liegen teilweise auf Waldgebiet, was bedeutet, dass bereits aus rein rechtlicher Sicht die Eingriffsmöglichkeiten ganz anders geregelt sind als auf einer Landwirtschaftsfläche. Das Kerngebiet von Daniel Lis sind denn auch die Waldgärten. Er betreut zusammen mit Tobias Messmer die beiden Flächen (siehe auch nebenstehendes Interview). Während man sich auf der ersten Fläche in einem lichten Wald wähnt, wurden im zweiten Gebiet bewusst Bäume und Sträucher in eine landwirtschaftlichere Struktur integriert. Ziel dieser Versuche ist es, auf kleinem Raum zu testen, was später grossflächig in die Land- oder Forstwirtschaft integriert werden könnte.
Permakultur ist natürlich ein Schlagwort, das gut zu den Versuchen passt. Daniel Lis versucht seit letztem Herbst im Waldgarten ein Ökosystem aufzubauen, das sich weitestgehend selbst erhält. Weder Kompost noch sonst welche Materialien oder Dünger wurden bisher eingeführt. Dennoch findet man auf der rund 10 Aren umfassenden Fläche eine riesige Anzahl verwertbarer Pflanzen: Wildkirsche und Bergahorn für die Wertholzschöpfung, Sträucher oder mehrjährige Kulturpflanzen wie Brombeere, Bergjohannisbeere, Maulbeere, Rhabarber, Etagenzwiebeln, Melde, Zitronenmelisse, mehrjähriger Kohl etc. Verschiedenste Medizinalpflanzen schmücken die frei liegenden Flächen. An zwei schattigen Standorten entstehen Pilzkulturen. Und es wachsen gar einige Kartoffeln, Kürbisse oder Mais dazwischen. Der Arbeitsaufwand von ein bis zwei Stunden pro Woche hält sich in Grenzen, was das System auch für eine grossflächige Nutzung attraktiv machen könnte. Allerdings ist die Ernte dabei noch nicht einberechnet.
Potenzial für eine neue Gesellschaft
Eine Herausforderung sei es, zunächst an der HAFL selbst die nötige Unterstützung zu gewinnen. Das Projekt erhält schon einiges an Rückhalt, auch von Seiten der Schulleitung. Gewisse Widerstände sind allerdings nicht auszuschliessen. Erweist sich das Projekt als erfolgreich, könnte sich diese Art der Bewirtschaftung durchaus weiter verbreiten, meint Daniel Lis. Denn die HAFL besitze eine gewisse politische Schwerkraft. Mareike Jäger von der IG Agroforst bestätigt, dass die Debatte um Agroforstsysteme innerhalb des landwirtschaftlichen Diskurses durchaus vorangetrieben wird. In Ländern wie Brasilien oder weiten Teilen Afrikas ist die traditionelle Nutzung verschiedener Kulturen auf derselben Fläche noch weitaus verbreiterter. Waldgärten und Agroforstsysteme stossen dementsprechend auf fruchtbareren Boden und ein Grossteil der Forschung stammt aus diesen Gebieten.
Für Mareike Jäger steckt in der Agroforesterie ein grosses Potenzial. „Agroforst bedeutet nicht nur Bäume auf den Acker zu Pflanzen, sondern Strukturen auf Kulturflächen zu schaffen, die neue Nutzungsmöglichkeiten erschliessen.“Die Schizophrenie in der heutigen Landwirtschaft, in der auf der einen Seite möglichst intensiv bewirtschaftet wird und auf der anderen Seite Ökoflächen zur Kompensation angelegt werden, könnte mit den Baumgärten sicherlich gelindert werden. Davon ist Edi Hilpert überzeugt. Wenn es die Landwirtschaft schafft, einen Weg aus dem Produktivitätszwang zu finden, wäre dies ein wahrer Segen für die Natur wie auch den Menschen. Eine Gesellschaft, in der jedes Individuum seinen Teil zur Gemeinschaft beiträgt, bräuchte auch keine ausschliesslich auf die Produktion ausgelegte Landwirtschaft mehr. Anfangen könnte es tatsächlich mit dem Pflanzen eines Baumes. Eine wahrhaft philosophische Tat in der heutigen schnelllebigen Zeit.
Gregor Kaufeisen
Text plus Interview in Französisch
Für weiterführende Infos:
http://www.agroforst.ch/
http://www.fao.org/docrep/014/i1861f/i1861f08.pdf