Der Termin war perfekt: Am Montag, 29. April, orientierte der Arbeitskreis für Zeitfragen[1] im Haus pour Bienne über die Neustrukturierung im Asylwesen im Kanton Bern. Am Freitag vorher hatte der Kanton bekannt gegeben, welche Asyl-Organisationen in welchen Regionen ab Mitte 2020 zum Einsatz kommen werden. Im Raum Seeland – Biel – Berner Jura wird es nicht mehr ABR (Asyl Biel und Region) sein, sondern das Schweizerische Rote Kreuz Kanton Bern. Betroffen sind, nebst den Asylsuchenden, etwa 100 Mitarbeitende von ABR.
Sabine Lenggenhager von der Kirchlichen Kontaktstelle für Flüchtlingsfragen (KKF-OCA) erläuterte die Änderungen im Asylbereich. Anhand von Bieler Freiwilligenprojekten (Tandem Auf Augenhöhe, Z‘vieri Treffpunkt für Sans Papiers, Haus pour Bienne und Deutschkurse von Multimondo) diskutierten anschliessend die gut 30 Anwesenden die Auswirkungen auf die Freiwilligenarbeit mit Personen aus dem Asylbereich[2].
Im Juni 2016 hat die Schweizer Stimmbevölkerung dem neuen Asylgesetz zugestimmt. Dieses liefert die gesetzliche Grundlage für das „neue“ Asylverfahren:
- Die Asylverfahren werden beschleunigt und die „schnellen“ Verfahren erfolgen ausschliesslich in den neuen Bundesasylzentren.
- Ab März 2019 werden alle neuen Asylsuchenden vorerst einem solchen Bundesasylzentrum zugewiesen (im Kanton Bern ist dieses im Zieglerspital in Bern).
- Maximal 140 Tage bleiben sie in einem „Bundeszentrum mit Verfahrensfunktion“. Dort reichen sie ihr Asylgesuch ein, dieses wird geprüft und (sogenannte „Dublin“-Fälle[3] und Fälle des beschleunigten Verfahrens) entschieden. Das gesamte Personal arbeitet vor Ort: Sachbearbeitende SEM, Rechtsvertretungen, Dolmetschende, Dokumentenprüfungsfachpersonen, Betreuungs- und Sicherheitspersonal.
- „Dublin“-Fälle und Abgewiesene siedeln nach wenigen Tagen um in ein „Bundeszentrum ohne Verfahrensfunktion“ = „Warte- und Ausreisezentrum“, wo sie darauf warten, ausgeschafft zu werden. Für den Vollzug der Ausschaffung ist der jeweilige Standort-Kanton zuständig.
- Andere relativ klare Fälle sollen innert den 140 Tagen im Bundeszentrum mit Verfahrensfunktion entschieden werden; die Person erhält entweder einen Schutzstatus oder einen Nicht-Eintretens-Entscheid = Abweisung = Umzug in ein „Bundeszentrum ohne Verfahrensfunktion“.
- In eines der „Besonderen Zentren (BesoZ)“ kommen Asylsuchende, welche die öffentliche Ruhe und Ordnung oder den Betrieb des Zentrums stören.[4]
[1] In Zusammenarbeit mit Kirchliche Kontaktstelle für Flüchtlingsfragen, Multimondo, Benevol, Haus pour Bienne, Arbeitsgruppe „Alle-Menschen“
[2] Personen aus dem Asylbereich sind Asylsuchende, provisorisch Aufgenommene, anerkannte Flüchtlinge, Abgewiesene.
[3] ein anderer Staat ist zuständig und muss die Asyl suchende Person übernehmen
- Kompliziertere Fälle, die eine umfassendere, länger dauernde Prüfung brauchen, werden nach den 140 Tagen an die Kantone abgetreten („Erweitertes Verfahren“). Diese Personen gelangen dann in eines der kantonalen Asylzentren (z.B. nach Bözingen).
- Haben sie oder erhalten sie einen negativen Asylentscheid, dann werden sie umplatziert in ein (noch zu schaffendes) Ausreisezentrum des Kantons (Nachfolgeprojekt von „Prêles“).
- Die Ausschaffung, soweit möglich, erfolgt durch die Kantone, auch aus den „Bundeszentren ohne Verfahrensfunktion“.
[5] https://www.fluechtlingshilfe.ch/asylgesetzrevision.html
[6] https://www.fluechtlingshilfe.ch/asylgesetzrevision.html#Dauer
Welche Auswirkungen hat das neue Verfahren im Kanton Bern?
Die neue Zuteilung der Regionen an nur noch fünf Betreuungsorganisationen ist Teil der Neustrukturierung des Asylbereichs (NA-BE) ); dies wiederum ist eine Folge der Neuerungen beim Bund. https://www.gef.be.ch/gef/de/index/migration_integration/migration_integration/projekt-na-be.html
Zuständig im Kanton Bern ist neu für alle Regionen die Gesundheits- und Fürsorge-Direktion (GEF); einzig für das vorgesehene kantonale Ausreisezentrum ist die Polizei- und Militär-Direktion (POM) zuständig.
Die neuen Betreuungs-Organisationen werden Mitte 2020 ihren Betrieb aufnehmen.
Wer sind die neuen Betreuungs-Organisationen:
- Berner Jura – Seeland: SRK
- Region Bern – Mittelland: SRK
- Stadt Bern und Umgebung: Stadt Bern mit Heilsarmee
- Emmental – Oberaargau: ORS
- Berner Oberland: Asyl Berner Oberland
https://www.derbund.ch/bern/kanton/private-ziehen-ins-bernische-asylwesen-ein/story/31328425
https://www.derbund.ch/bern/schnegg-wollte-unbedingt-einen-privaten-anbieter/story/28649427
ORS[7] betreut im Auftrag des Bundes auch dessen Zentren im Kanton Bern (Bern, Kappelen).
Die Betreuung des minderjährigen Asylsuchenden wird erst jetzt ausgeschrieben. https://www.srf.ch/sendungen/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/polizei-kontrolliert-lastwagen-am-simplon-kuenftig-zehnmal-mehr ab Minute 4:18.
[7] Siehe Vision 2035 Nr. 29 vom Februar 2019 https://vision2035.ch/author/ruedi/ (deutsch) / https://vision2035.ch/fr/author/ruedi/ (französisch)
NA-BE unter der Lupe: Inhalte, Neuerungen, Auswirkungen
https://www.kkf-oca.ch/wp-content/uploads/AsylNews_1_19_Web_d.pdf
- Im Kanton Bern gibt es ein „Bundeszentrum mit Verfahrensfunktion“ in Bern (Zieglerspital) und ein „Bundeszentrum ohne Verfahrensfunktion (Ausreisezentrum)“ in Kappelen.
- Weil die „Neuen“ zuerst in einem Bundeszentrum „aussortiert“ werden (Triage), werden in Zukunft weniger Personen, deren Entscheid noch aussteht, an die Kantone zugewiesen.
- Aus dem gleichen Grund werden es voraussichtlich weniger Personen mit negativem Asylentscheid sein, und mehr Personen, die voraussichtlich bleiben dürfen. Für diese soll es „von Beginn an“ Integrationsprogramme geben.
- Es gibt weiterhin den Kantonen zugewiesene Abgewiesene = KandidatInnen für das Nachfolgeprojekt von „Prêles“.
- Sowohl im kantonalen als auch im Bundes-Zentrum muss die kantonale Berner Polizei die fälligen Ausschaffungen durchführen.
Was ändert sich für die Betreuungs-Organisationen?
Die Betreuungs-Organisationen – im Raum Biel/Bienne also das SRK – erhalten eine erfolgsorientierte Entschädigung, welche abhängt von der Erreichung der Ziele Sprache, Ausbildung, finanzielle Selbstständigkeit. Der Nachweis des Grades der Ziel-Erreichung bringt sehr viel Papierkrieg mit sich.
Dieser Druck vom GEF auf die regionalen Betreuungs-Organisationen erzeugt natürlich auch Druck auf die Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen. Die Gefahr ist gross, dass Ältere, Bildungsferne, psychisch oder physisch Beeinträchtigte dabei durch die Maschen fallen – weil sie mehr Aufwand bei geringeren Erfolgs-Chancen verursachen. Also weniger „rentabel“ sind für die Betreuungs-Organisation.
Was ändert sich für die Geflüchteten?
Die Personen mit guten Bleibe-Chancen durchlaufen „von Beginn an“ ein Integrationsprogramm Dabei müssen sie schnell Sprach- und Grund-Kompetenzen erwerben. Wer das schafft, kann allenfalls mit der Zeit in eine Wohnung umziehen, wer es nicht schafft, bleibt im Asylzentrum. „Vulnerable“ Personen und Familien mit Kindern haben bessere Chancen, in eine Wohnung umplatziert zu werden.
Für Junge bis 25 Jahre liegt der Fokus auf der Ausbildung, für Ältere auf der Arbeitsintegration. Alle müssen das Sprach-Niveau A1 erreichen, spätestens in drei Jahren. Je nach Situation werden auch höhere Sprach-Niveaus gefördert. Dabei gilt das Prinzip „so viel Förderung wie nötig“.
Damit die (Arbeits-)Integration vorankommt, soll die Zusammenarbeit der Betreuungs-Organisationen mit den Gemeinden, der Wirtschaft und den Freiwilligen intensiviert werden.
Französisch Sprechende kommen in den Berner Jura.
Was ändert sich und was bleibt unverändert für die engagierten Freiwilligen?
Erstmals wird in „NA-BE“ die Bedeutung der Freiwilligen-Arbeit erwähnt, welche „eine wichtige ergänzende Rolle für die gesamte Integration wahrnimmt“. Weiter ausgeführt wird dies allerdings nicht. Ebenso ist offen, ob und wie Freiwillige in den „Ausreise-Zentren“ arbeiten sollen, können, dürfen.
Die Sprachkurse sollen durch Freiwillige geleistet werden. Dabei sollen sich diese selber organisieren.
Unklar ist, was an Unterstützung für Abgewiesene erlaubt ist und mit welchen „Taten“ sich die Unterstützenden eventuell strafbar machen.
In den Diskussionsgruppen wurde u.a. festgehalten,
- dass professionelle Arbeit mit Geflüchteten nicht (nur) durch Freiwillige geleistet werden kann,
- dass die Freiwilligen professionelle Unterstützung brauchen,
- dass die Freiwilligen-Arbeit nach den Kriterien von „Benevol“[8] erfolgen soll,
- dass auch die Fachstelle Integration Region Biel/Bienne[9] hier gefordert ist,
- dass die Freiwilligen speziell auch auf „vulnerable“ Personen achten sollen,
- dass auch Abgewiesene Zugang zu Sprachkursen und anderen Aktivitäten haben sollen,
- dass vom SRK erwartet wird, dass es seinem guten Ruf gerecht wird: Maximale Transparenz, ein menschenwürdiger und wertschätzender Umgang mit seinen KlientInnen, basierend auf einer positiven Einstellung gegenüber den Geflüchteten – und gegenüber uns Freiwilligen.
[8] Benevol ist die Fachstelle für Freiwilligenarbeit. www.benevol.ch/de/biel-und-umgebung/benevol-biel.html
[9] www.biel-bienne.ch/de/pub/verwaltung/direktion_soziales_sicherheit/fachstelle_integration.cfm
Mehr Informationen:
Kirchliche Kontaktstelle für Flüchtlingsfragen KKF-OCA.
www.kkf-oca.ch. www.facebook.com/kkf-oca.ch
Sabine Lenggenhager, Bildung und Sensibilisierung / Unterstützungsnetz für abgewiesene Asylsuchend UN-AAS. Sabine.lenggenhager@kkf-oca.ch. 031 385 18 02.
Schweizerische Flüchtlingshilfe www.fluechtlingshilfe.ch / www.fluechtlingshilfe.ch/kontakt.html (auf Deutsch, Französisch und Englisch)
Faktenblatt zur Neustrukturierung Asyl:
https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/asyl/beschleunigung/infoveranstaltungen/themen/3-regionen-baz-d.pdf
Wie geht es nun weiter mit „Prêles“?
Das kurz vor der Eröffnung stehende Abgewiesenen-Zentrum in Prêles auf dem Plateau de Diesse war im März vom Grossen Rat abgelehnt worden. „Von meist gut informierter Seite“, wie man so zu sagen pflegt, war zu vernehmen, dass der ominöse „Plan B“ von Regierungsrat Philippe Müller nun vorsehe, den Eschenhof in Gampelen und das Zentrum in Aarwangen umzufunktionieren zu Sammelorten für die Abgewiesenen. Dieses Abgewiesenen-Zentrum resp. diese Zentren werden in Zukunft nicht von einer der fünf Betreuungs-Organisationen geführt, sondern vom kantonalen Migrationsdienst, einer Abteilung der Polizei- und Militärdirektion.
Rudolf Albonico. Der Autor ist Soziologe und Erwachsenenbildner in Biel/Bienne und Nidau. Er ist in keiner Weise verbandelt mit einer der Betreuungs-Organisationen. Engagiert in der Arbeit mit Personen mit Migrationshintergrund, weiss er, wie wichtig eine gute Betreuung von Asylsuchenden ist für deren gelingende Integration.
Margrit Schöbi war Berufsberaterin bei OP Bienne/ BIZ Biel. Sie arbeitet als Freiwillige im Migrationsbereich: bei InterNido mit Deutschaktiv und Deutschkurs, in einer Bieler Empfangsklasse, andererseits in der Auseinandersetzung um «Prêles» und für die Legalisierung der Abgewiesenen, die nicht zurückgeschafft werden können.
Weitere Infos
www.alle-menschen.ch / www.tous-les-etres-humains.ch