Urbanismus

Wenn die Bevölkerung sogar mitbauen darf: Place-Building am Beispiel Göteborg

In der Stadt Göteborg entsteht aus einem industriellen Hafengebiet ein öffentlicher Platz. Mit Place-Building wird dabei erprobt, wie die Bürger*innen bei der Gestaltung mitwirken können und eine offene Diskussion über die Entwicklung des Ortes entsteht.

Kinder turnen auf einer grossen Holzstruktur. Vier kalte Beine huschen in Bademäntel gehüllt vorbei. Von den Umkleidekabinen über den Steg am Fluss zur Sauna aus Wellblechplatten und verschwinden darin. Noch hat sich bei diesen Temperaturen kein Mensch in den Salzwasserpool gewagt. Daneben steht das Café – der Tresen und die Sitzecken sind aus alten Paletten gezimmert, die Lautsprecherboxen vom Konzert am Wochenende verstummt. Weiter drüben spazieren drei dick Eingepackte an Buschigem und Sträuchern vorbei. Es ist windig an diesem Tag, wie so oft im Jubileumsparken.

Jubileumsparken befindet sich in Schweden, im Stadtteil Frihamnen in Göteborg. Gleich nebenan fliesst der Götakanal, der an den meisten Tagen farblich mit den grauen Wolken verschmilzt. Der Kanal trennt den Stadtteil Frihamnen von Göteborgs Stadtzentrum. Diese physische Trennung führt auch zu einer gefühlsmässigen Trennung, so als wäre Frihamnen kein eigentlicher Teil der Stadt. Da, wo heute Jubileumsparken steht, war vorher industrielles Brachland. Aus Anlass des 400-Jahre-Jubiläums der Stadt im Jahr 2023 entstand das Vorhaben, diese industrielle, unbelebte Ebene in einen öffentlichen Platz umzuwandeln. Die Stadt Göteborg hatte für den Jubileumsparken ein siebenjähriges Zeitfenster für die Entwicklung vorgeschlagen. Ein Zeitfenster, das von 2014 bis 2021 zur Schaffung eines neuen öffentlichen Raums genutzt werden und zu einer neuen Plattform in der Stadt beitragen sollte. Dieses Projekt war in die grössere Strategie und Vision des Stadtplanungsprojektes RiverCity Göteborg eingebettet.

Ob es wohl gelingen kann, eine alte Industriezone in ein attraktiveres Areal zu verwandeln? Warum nicht einfach der höchst bietenden Partei das Areal verkaufen und den Aufwand gering halten? Es war klar, dass diese alte Industriezone ein öffentlicher Platz werden soll, was konkret darauf entstehen darf wurde indes bewusst offen gelassen. Ein ergebnisoffener Prozess sollte die Möglichkeit bieten, gemeinsam auszuprobieren, wie der Ort in Zukunft genutzt werden kann. Zudem war es den Beteiligten des Projektes wichtig, etwas für und mit der Stadtbevölkerung auszuarbeiten. Dieser partizipative, ergebnisoffene Ansatz, welcher die physische Mitgestaltung von Bürger*innen und eine offene Diskussionsbasis vor Ort schafft, heisst in der Fachsprache Place-Building. Im Vergleich zu einer rein temporären Nutzung, bei der klar ist, dass diese irgendwann einer anderen Nutzung weichen muss, soll Place-Building als eine Art physische, strategische Vorstudie für eine permanente Nutzung des Ortes dienen. Diese Herangehensweise hat auch in Göteborg einen Vorzeigecharakter und fusst auf einem Verständnis von partizipativem Design, welches von der Kunsthochschule Göteborg, einzelnen Akteur*innen und der Stadt vorangetrieben und weiterentwickelt wird. Während der Projektdauer haben verschiedene Parteien mit unterschiedlichen Berufshintergründen zusammengearbeitet, darunter Architektinnen-Kollektive, Stadtplaner, Designerinnen, Studierende und Sozialarbeiterinnen.

Zudem wurde die Stadtbevölkerung zu verschiedenen Zeitpunkten aktiv in den Gestaltungsprozess miteinbezogen. Im Vorfeld konnten Ideen für den Platz schriftlich eingereicht werden. Diese wurden als Basis für die erste Phase der Ausgestaltung genutzt, andere kamen auch noch später dazu, ein laufender Prozess. 

Einen vitalen Teil im Projekt nahmen in einem nächsten Schritt in Originalgrösse gebaute Prototypen von Bauwerken aller Art ein. Viele der Prototypen bestanden aus Holz oder recyceltem Material und waren ein greifbares, erlebbares Element, um den Dialog, der über Worte hinausgeht, auszutesten. Die Prototypen fungierten als Inspiration und Verhandlungsbasis für die zukünftige Nutzung des Ortes. So sind zum Beispiel in Zusammenarbeit mit den zwei Architekt*innen-Kollektiven Raumlabor Berlin und Recetas Urbanas eine Sauna und ein Outdoor-Classroom entstanden. Statt den Bauprozess in die Hände von privaten Baufirmen und Baggern zu geben, werden Bürger*innen zum Bauprozess eingeladen und beteiligt. Dadurch hinterlassen sie ihre Spuren.


Nach einer ersten Phase des Place-Buildings wurden im Jubileumsparken die Prototypen weiterentwickelt, durch andere ersetzt oder als permanente Lösung ausgearbeitet. Die Instandhaltung der Projekte und Aktivitäten auf dem Platz werden vom Verein Passalen, der Kinder und Jugendliche mit verschiedenen Beeinträchtigungen unterstützt, und von Bürger*innen getragen. Natürlich ist es auch in einem solchen Fall wie Jubileumsparken nicht immer einfach, alle Menschen gleichermassen miteinzubeziehen. Durch diverse Mitwirkungsarten wurde versucht, möglichst viele Menschen abzuholen. Zum Beispiel konnten durch die schriftliche Ideensammlung auch Menschen mit eingeschränkter Mobilität teilhaben. Oder das gemeinsame Bauen hat sich auch für Menschen angeboten, die die Sprache nicht so gut können, aber kreativ und handwerklich geschickt sind.

Auch nach einigen Jahren hat Jubileumsparken immer noch einen Hauch von Industrie und sieht unfertig aus. Vielleicht sähe der Platz von aussen betrachtet kompletter aus, hätte man eine einzige Baufirma beauftragt. Aber was bringt ein perfekt gebauter Platz auf dem kein Kind spielen darf und die Menschen sich nicht eingeladen fühlen? Was das Beispiel in Göteborg aber vor allem aufzeigt, ist die Art und Weise, wie das Verständnis von Öffentlichkeit und Mitgestaltung erweitert wird. Öffentliche Räume leiten Menschenströme und Verkehr, hemmen oder fördern Sicherheit. Aber es darf nicht vergessen werden, dass das Öffentliche auch ein politisches Momentum enthält, rein dadurch, dass es allen gehören und zugänglich sein soll. Da im öffentlichen Raum verschiedene, teils entgegengesetzte Interessen aufeinanderprallen und sich reiben, ist die Gestaltung des öffentlichen Raumes natürlich eine Herausforderung. Ansätze wie Place-Building dienen dazu, verschiedenen Interessen Platz zu bieten und die Legitimität entgegengesetzter Meinung wahrzunehmen und auch anzunehmen.

Wenn wir öffentlichen Raum zudem nicht als etwas Statisches verstehen, sondern als etwas, das ständiger Verhandlungen ausgesetzt ist, dann bedarf es geeigneter Herangehensweisen. Solcher, die nicht nur auf die kommerzielle Nutzung des Raumes ausgelegt sind, sondern einen räumlichen Platz bieten für Verhandlungen, Mitbestimmung und kollektive Utopien. 

Öffentlicher Raum dieser Art wird aufgrund von Privatisierungen und vermehrtem Individualismus rar. Deshalb ist es umso wichtiger, einen offenen Dialog mit städtischen Behörden zu schaffen, damit Menschen sich einbringen können, und um an einem neuen Verständnis zu arbeiten, wie öffentlicher Raum auch noch gesehen und genutzt werden kann.

Livia Walker hat sich während dem Studium in Embedded Design an der School of Design and Crafts in Göteborg mit partizipativen Design-Methoden auseinandergesetzt. In ihrer Masterarbeit hat sie Jubileumsparken analysiert und bei partizipativen Bauprozessen mitgewirkt.

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