Gesellschaft

Wie die Kraft der Gruppe den Weg vom Mädchen zur Frau unterstützt

Die Graphic Novel «Und dann tanzen wir laut» erzählt den Alltag dreier junger Frauen in der anspruchsvollen Altersphase der Adoleszenz. Joy (20-jährig), Olivia (15) und Kim (12) zeigen wie sie durch Tanz und Freundschaft die Herausforderungen des Lebens gemeinsam meistern, sei es in der Schule, mit ihrem sich verändernden Körper, mit den Eltern oder in der ersten Liebe. Die drei Freundinnen entwickeln jede auf ihre Art den Mut, den eigenen Weg zu gehen. Und: Das Ende der Geschichte ist offen. Zwei leere Seiten laden dazu ein, im Rahmen eines Wettbewerbs das Finale selbst zu gestalten.

Inspiriert wurde das Buch Und dann tanzen wir lautvon den Street-Tanzgruppen roundabout, einem mädchenspezifischen Gesundheitsförderungs- und Präventionsangebot des Blauen Kreuzes in der Deutschschweiz. 315 freiwillig engagierte junge Frauen leiten wöchentlich 146 Tanzgruppen. Mehr als 1600 Mädchen zwischen 8 und 20 Jahren treffen sich, trainieren selbstentwickelte Choreographien, tanzen frei, und tauschen sich dann eine halbe Stunde auch über persönliche Themen aus.

Vier zentralen Protagonistinnen geben im Folgenden Einblick in die Tanzgruppen und das spannende Buch-Projekt. 

Désirée Aebersold ist nationale Koordinatorin von roundabout und Initiantin der Graphic Novel Und dann tanzen wir laut.

Als Kind stellte sie rasch fest, dass ihr der Spielplatz «Welt» als Mädchen nicht so frei und selbstverständlich zur Verfügung stand wie einem Jungen. Dies führte sie zu den Gender-Studies mit dem Wunsch, die gesellschaftlichen Strukturen Richtung mehr Freiheit, Selbstbestimmung und Chancengleichheit für alle aufzuweichen. Nach 30 Jahren im Beruf bleibt die Motivation die gleiche: « Mich interessierts, an Inklusion und Sensibilisierung zu arbeiten, damit Individualität Platz hat. Eine Individualität, die alle bereichert. Das genau machen wir mit roundabout: wir anerkennen die realen Herausforderungen unserer heutigen Gesellschaft und begleiten die Jugendlichen feinfühlig und kreativ mit Tanz und offenen Gesprächen.»

Um Impulse für die Buchgeschichte einzuholen, organisierte Désirée einen Workshop mit roundabout-Tänzerinnen, -Leiterinnen und dem Buchteam: Ziel war es, die Jugendlichen über das Tanzen abzuholen, und daraus kreative Assoziationen zum Thema Frau sein sowie zur Bedeutung von roundabout in ihrem Leben zu gewinnen.  

Als erfahrene Jugendbuchautorin schöpfte sodann Melanie Gerber Ideen aus der Erfahrung der Jugendlichen und verwebte diese verschiedenen sozialen Realitäten in eine authentische Geschichte, wo alles Platz hat, was unsere komplexe Welt für Mädchen und junge Frauen bereithält.

Das Buch endet mit zwei weissen Seiten als Einladung, selber das Finale zu gestalten. Der Wettbewerb dazu läuft bis März 2023 (siehe Fussnote). Jede und jeder kann via QR-Code ein eigenes Ende der Geschichte uploaden, oder für seine Lieblingsgeschichte durch E-Voting abstimmen. Wir wollten Interaktion und Kreativität auf eine Art anregen, die die aktuelle digitale Jugend anspricht, sagt Désirée, und ausserdem Gruppenleiterinnen, Eltern und Sozialarbeiter*innen ein Tool bieten, um tiefgreifende Themen anzugehen, denen alle Jugendlichen in der Pubertät begegnen.

Als nationale Koordinatorin roundabout bleibt Desirée darauf fokussiert, wie übers Tanzen ein Gruppengefühl und Identität entstehen können. Es geht darum, die Entwicklung einer eigenen Identität und eines positiven Körperbildes feinfühlig, kreativ und ressourcenorientiert zu unterstützen», sagt sie. Interne Studien geben ihr Recht. roundabout-Teilnehmerinnen weisen im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt ein positiveres Gesundheitsverhalten auf: sie bewegen sich mehr, ernähren sich gesünder, rauchen und trinken weniger Alkohol. Désirée dazu: «Es erfüllt mich mit Stolz und gibt mir das Gefühl, das Richtige zu tun, gemeinsam mit den 2000 Teilnehmerinnen im Netzwerk wirklich etwas Wichtiges in Bewegung bringen zu können. Ich bin dankbar, das wundervolle Erbe meiner Vorgängerinnen mit vielen mutigen und starken Frauen weiterentwickeln zu dürfen!“  

Nina Bucher studiert Kunst an der Fachhochschule Bern und hörte vom Aufruf «Illustratorin gesucht». Eine Freundin sagte ihr noch «Nina, das passt, du tanzt auch, du musst dich melden!» 

Am Workshop zur Ideensammlung für das Buch fühlte sie sich wohl, spürte viel Motivation und Begeisterung im Projektleitungsteam und auch, was das Tanzen den Mädchen von roundabout bedeutet. Da war klar: sie würde mitmachen.

Die Authentizität von Joy, Olivia und Kim berührte Nina, und es lag ihr am Herzen, jeder Figur einen typischen Charakter zu geben. « Jede Figur kämpft mit ihren eigenen Problemen, ich konnte die Emotionen gut mitfühlen. Das macht die Kraft des Buches aus: Jede und Jeder kann sich in einer der 3 Figuren wieder finden und mitfühlen. Ich spürte nach und skizzierte, bis die Bildsprache schlüssig war».

Die Zusammenarbeit im Projektteam erlebte Nina als sehr interessant und positiv fordernd: « Je mehr Menschen beteiligt sind, desto mehr Kreativität sprudelt. Das Gefühl, Teil eines gemeinsamen Werks zu sein, ist schön. Ich bin sehr dankbar, haben wir es gemeinsam erschaffen », sagt sie zufrieden. Die Botschaft «Auch wenn das Leben nicht nur einfach ist, bist Du nicht allein» mache Sinn. Sie freue sich sehr, wenn das Buch mal hilft und mal ganz einfach ein Schmunzeln hervorruft.

Sara-Lisa Ringgenberg leitet das Team roundabout Kanton Bern. Sie ist einerseits verantwortlich für Organisatorisches, Finanzierung und Vernetzung, andererseits schult sie die Tanzgruppenleiterinnen, zum Beispiel in Früherkennung psychisch belastender Situationen. 

Sie erzählt wie sie dazu kam: «Ich machte die Grundschulung zur Gruppenleiterin und startete mit einer Gruppe in Zollikofen. Schon nach vier Monaten wurde mir anerboten, in das kantonale Leitungsteam einzusteigen. So wurde meine Leidenschaft, Tanz, Pädagogik und Prävention zu unterrichten, zu meinem Beruf.

Heute leitet Sara-Lisa mit grosser Freude das Team Bern. Sie arbeitet mit vielen Jugendlichen, die selber andere motivieren und inspirieren. Gemeinsam mit anderen Kantonalleiterinnen darf ich mitgestalten, wie wir neue Schulungen den Gruppenleiterinnen vermitteln können, um diese für ihre Funktion zu stärken. Diese Mischung aus Verantwortung und Mitgestaltung ist hoch spannend.»

Die Fragen «wer bin ich?» und «wo ist mein Platz?» kommen schon früh bei den Mädchen. Es gehe darum, diese Fragen und Spannungen auf eine kreative Art einzufangen, so Sara-Lisa, zu informieren und zu diskutieren statt zu tabuisieren. Der Trainingsaufbau bei roundabout sei dafür perfekt: Wir tanzen eine Stunde, und dann haben wir eine halbe Stunde unseren «gemütlichen Teil», in dem wir über aktuelle Themen der Mädchen sprechen.»

Simone Becher war 15 Jahre alt, als sie dank zweier Schulfreundinnen von der rhythmischen Sportgymnastik zu roundabout wechselte. 

«Das Training war viel lockerer, ohne Wettkampf, das machte mir Spass, erzählt sie. Der persönliche Tanzstiel wurde zelebriert, sie durfte an der Entstehung neuer Choreografien mitwirken, und Leandra, die Tanzleiterin, wurde schnell zu einem Vorbild. Sie bewegte sich cool und ihre Art, die Gruppe zu leiten, fand ich toll. Die Stimmung in der Gruppe und das Plaudern nach dem Tanzen waren inspirierend. Jede durfte ihre Anliegen einbringen, ohne Urteil. Das tat einfach gut.»

Das gemeinsame Einstudieren neuer Choreografien, sowie den stetigen Lernprozess durch Feedback und gegenseitiges Zuschauen empfand die heute 23-jährige Simone als besonders motivierend. Eine vertrauensvolle Teamatmosphäre gebe Mut, Neues zu probieren, und helfe, Selbstbewusstsein aufzubauen.

Mit 16 wurde Simone angeboten, eine roundabout-Schulung zur Leiterin zu machen, um sich mit Gruppenführung, Kommunikation wie auch Gesundheitsförderung und Prävention auseinanderzusetzen. Bald leitete sie ihre erste Tanzgruppe, drei kamen während ihres Studiums zur Primarlehrerin dazu. Heute sagt sie: «Einen grossen Teil meiner Führungskompetenz im Klassenzimmer habe ich bei roundabout erworben.» 

Zurück aus einem Semester Arbeit im Ausland besucht sie regelmässig ihre damaligen Gruppen und wird gefeiert: Ich bin einfach stolz zu sehen, wie sich die Kinder zu jungen Frauen entwickeln. Es macht mich glücklich, ein Vorbild gewesen zu sein.»

Autorin:
Emmeline Bienvenu erlebte begeistert die Tanzdemo von roundabout bei der Vernissage der Graphic Novel und initiierte die Gründung einer Gruppe in Biel. 

Illustration:
Nina Bucher

Eine roundabout-Tanzgruppe in Biel?

Ist am entstehen. Damit es im April 2023 losgehen kann, braucht die Projektgruppe noch Unterstützung und Anmeldungen. Wer das Projekt finanziell oder ideell unterstützen möchte oder Fragen dazu hat, kann sich bei Sara-Lisa Ringgenberg melden:
sara-lisa.ringgenberg@roundabout-network.org

www.und-dann-tanzen-wir-laut.ch

Alles zum Buch: bestellen, Finale zum Wettbewerb uploaden, e-voten

image_pdfPDFimage_printPrint
<< Die Welt braucht Menschen mit Humor!Parc du Chemin de la Passerelle, suite… >>
Teilen: