Ernährung Urbanismus

Die andere Hälfte ist auch essbar

Beim QuartierInfo Mett der Stadt Biel gibt es neu jeden Donnerstag von 14 bis 16 Uhr einen Bio-Gemüsemarkt fürs kleine Portemonnaie. Verkauft werden Kartoffeln, Rüebli, Randen, Zwiebeln, Kohl und vieles mehr direkt geliefert vom biozertifizierten Brunnereichhof in Spins bei Aarberg. Ein Foodsave-Projekt mit besonderem Charakter.

Geschmacklich ist das Gemüse, das seit Anfang September jeden Donnerstagnachmittag vor dem QuartierInfo Mett angeboten wird, hervorragend, wie Testeinkäufe bestätigten. Vom Aussehen her aber entspricht es nicht dem, was die Kunden aus dem Supermarkt kennen, ganz einfach weil unsortiert, zum Teil zweiter oder dritter Qualität, klein, krumm, und natürlich belassen statt gewaschen, sprich mit echter Erde dran. Dies habe denn auch schon für die eine oder andere negative Reaktion gesorgt, so Anna Mele, Leiterin des QuartierInfo Mett der Stadt Biel: Viele Leute sind es sich gar nicht mehr gewohnt, Gemüse mal anders als auf Hochglanz getrimmt zu sehen. Die Mehrheit der Kundinnen und Kunden hingegen schätze das Angebot. Für wenige Franken trägt man bald einmal einen ganzen Rucksack voll Gemüse heim. Die Kilopreise liegen zwischen 1 und 3 Franken je nach Gemüse und Qualität. Auch einwandfreie Salate für Fr. 1.das Stück aufgrund von Überfluss gab es schon.

 Bio für alle

Die Niederschwelligkeit ist Mele und ihrem Team wichtig: Alle sollen durch diesen kleinen Märit bei uns im Quartier Zugang zu Biogemüse erhalten, sagt sie, gerade auch jene mit kleinem Einkommen, die vor den Biopreisen auf dem Märit und im Supermarkt ansonsten zurückschrecken.

Dazu kommt der Effekt, dass Gemüse an Frau und Mann gelangt, das es ansonsten teils nicht in den Verkauf geschafft hätte und der Bauer hätte unterackern, kompostieren oder verfüttern müssen. Er, also Stefan Brunner vom Brunnereichhof, sagt zu seiner Motivation, bei dem Projekt mitzumachen: Bio für alle, das hat mich angesprochen. Dass für uns weniger verloren geht, ist ein weiterer Anreiz. Vor allem aber finde ich spannend, wie das Projekt das Bewusstsein dafür weckt, dass es nebst dem ganzen aufpolierten und genormten Gemüse in den Geschäften auch noch die andere Hälfte gibt und dass die auch essbar ist.Um einen Zusatzverdienst geht es Brunner nicht, kostendeckend müsse für ihn das Unterfangen indes schon sein. Und das gelinge bisher auch, unter dem Strich geht es für mich auf. Unter dem Strich deshalb, weil er sich mit dem QuartierInfo auf eine Abwicklung des Geschäfts über einen Durchschnittspreis pro Kilo Gemüse geeinigt hat. Ein mutiges pionierhaftes Modell. Dem Produzenten gibt es die Möglichkeit, in die wöchentlichen Lieferungen das hineinzupacken, was er gerade hat, mal 1.-, mal 2.- mal 3. klassiges Gemüse, ohne gross rechnen zu müssen. Beim einen legt er drauf, mit dem anderen holt ers wieder rein.

Das Team des QuartierInfo, das ebenfalls keinen Gewinn mit dem Gemüse machen will, splittet das Ganze dann wieder etwas auf und gestaltet die Preise nach Sichtung der Qualitäten – und zwar so, dass wir kein Defizit machen, wenn wir am Ende doch mal etwas auf den Kompost schmeissen müssen, wie Anna Mele erklärt. Am Märitstand stehen jeweils Bewohner des besetzten Bahnhöflivon nebenan. Sie engagieren sich ehrenamtlich bzw. gegen einen Sack voll Gemüse, den sie sich für ihren Einsatz zusammenstellen dürfen.

Mett als idealer Standort 

Initiiert hat den Restgemüsemarkt übrigens Mathias Stalder, der sich seit Längerem intensiv mit der urbanen Ernährung befasst und damit, wie diese nachhaltiger, lokaler und ökologischer gestaltet werden könnte. Er sagt: «In einigen Städten haben sich bereits sehr erfolgreiche Food-Save-Netzwerke gebildet. Ein solches in Biel zu lancieren, war mein Ziel.An einer Sitzung mit den Bieler Quartierinfos, wo er die Idee vorstellte, stiess er insbesondere bei Anna Mele auf offene Ohren. Sie trug schon länger eine ganz ähnliche Idee mit sich herum, wie sie sagt, und sah nun die Chance gekommen, Nägel mit Köpfen zu machen. Die infrastrukturellen Voraussetzungen beim QuartierInfo Mett waren auch gegeben, wenngleich ein richtiger Keller für die Gemüselagerung fehlt. Deshalb gibt es den Märit vorerst auch nur im kühleren Halbjahr von Herbst bis Frühling. Dass sich das Projekt gerade in Mett ansiedeln konnte, freut Mathias Stalder, gilt das Quartier doch als eher einkommensschwach. Für ein Projekt mit dem Ziel, günstiges B-Gemüse in Bio-Qualität anzubieten, ideal. Ob die Menschen aus Mett auch wirklich davon profitieren, bleibt abzuwarten.

Janosch Szabo, Mitherausgeber der Vision 2035, lebt selbst in Mett und war auch schon am neuen Bio-Märit einkaufen. Im QuartierInfo Mett organisiert er alljährlich zusammen mit einem engagierten OK die Bieler Saatgutbörse. Die nächste findet statt am 22.02.2020. www.bielersaatgutboerse.ch 

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