Wie gelingt nachhaltiger Konsum am Beispiel Biel? Was gibt es zu „beachten“ beim Konsum nach nachhaltigen Kriterien? Welche Möglichkeiten gibt es, sich zu versorgen, ausser über konventionellen Kauf? Was ist überhaupt der Bedarf? Und wie steht nachhaltiger Konsum mit Verzicht in Verbindung? Unsere Autorin stellt sich viele Fragen und geht ihnen auf den Grund, was sie am Schluss zu einer wichtigen Erkenntnis führt.
Letztes Jahr betrat ich einmal einen sogenannten «Super-Markt». Das ist der Ort, an dem mehr oder weniger alle Güter des privaten Ge- und Verbrauchs käuflich zu erwerben sind und der Durchschnittsbürger wohl mehrmals in der Woche ein und aus geht. Ich war zu dem Zeitpunkt über Monate nicht dort gewesen und wurde mir dessen nach wenigen Schritten plötzlich bewusst. Mein Blick schweifte über die Regale und ich staunte über die Palette an Produkten in jeglichen Variationen. Was all dies ist, fragte ich mich. Und vor allem, wer all dies kauft? Viel wichtiger jedoch: warum war ich solange nicht da gewesen und wie hatte ich das überlebt?
Inspiriert von der Gründung der ersten Unverpackt-Läden vor fünf Jahren in Deutschland befasste ich mich gedanklich bereits mit dem Thema des müllfreien oder zumindest müllreduzierten Konsums. Als schliesslich vor drei Jahren das Geschäft «Portion Magique» in Biel eröffnete, war der Entschluss gefasst, mich der Herausforderung zu stellen: verpackungsfrei einkaufen! Bald realisierte ich, dass Verpackung weiterhin notwendig ist. Doch welche ist „zulässig“? Ich musste mir also Kriterien überlegen, worauf es mir ankam. Dabei ging es vor allem um Materialkunde und Möglichkeiten des Recyclings. Schnell war klar, dass «unverdauliche» Materialien zu vermeiden sind, also insbesondere Plastik und Aluminium. Ich war erfreut, wie gut es gelingt: Am Samstagvormittag ziehe ich seither mit einem Rucksack gefüllt mit Stoffbeuteln, Netzen, Papiertüten und Gläsern in die Altstadt. Der Markt bietet mir unverpacktes und zudem regionales und meist biologisches Obst und Gemüse, auch Trockenobst, Eier und Käse; im Unverpackt-Laden finde ich Trockenwaren wie Nüsse, Linsen, Quinoa (aus der Region!) und Haferflocken sowie Öl und Gewürze. Weitere Produkte wie Honig und Joghurt kaufe ich im Glas in der Epicerie nebenan.
Ein anderes Mal sehe ich mich im Bioladen stehen: ich sinniere gefühlt eine halbe Stunde darüber, ob ich das lang geliebte Weleda-Duschbad kaufen soll. Warum plötzlich Zweifel? Diese Plastik-Tube will einfach nicht mehr widerstandsfrei in meine Hand. Ich akzeptiere. Aber was ist die Alternative? Ich werde fündig: eine Seife im Pappkarton! Wir sind seitdem beste Freunde.
Ein paar Schritte weiter ist das Schaufenster unscheinbar und meist nebenan bei Murad sehr viel mehr los. Ich stehe am gläsernen Tresen der Bieler Fischhalle und ziehe bereits meine Tupperdose aus dem Rucksack (ja, die Tupperdose durfte in meinem Bestand bleiben – ich hatte beschlossen, solange sie ganz ist, bleibt sie, wird aber nicht nachgekauft werden…). Im Gespräch erfahre ich, dass es noch Fisch aus dem Atlantik gibt, den fangfrischen aus dem See jedoch nicht mehr. Ich bedanke mich freundlich und verlasse mit leerer Dose das Geschäft. Heute also kein Fang. Beim nächsten Sprung in den See bedanke ich mich bei einem vorbeischwimmenden Fischchen, dass es mich vielleicht eines Tages nähren wird.
Es verlangt etwas: nachdenken, hinterfragen, Austausch und Gespräch, Gewohnheiten ändern, abwägen, mitdenken, verzichten. Ich sehe mich noch einmal zwischen den unendlichen Weiten der Regale im «Super-Markt» stehen und überlege, was ich mit meinem Konsumwandel gewonnen habe: die unersetzbare Freiheit nicht auf den «Super-Markt» angewiesen zu sein, sowie das Bewusstsein erweitert und die Wahrnehmung geschult zu haben, darüber, was ich verbrauche bzw. was ich überhaupt brauche. Wenn die Herbstboten, die Rosskastanien, vom Baum fallen, denke ich mittlerweile nicht mehr nur an Kinderbasteleien, sondern an Waschmittel und sammle einen Beutel voll vom Wegesrand (hier das Rezept dazu). Aus abgetragenen Kleidern werden Teppiche. Überhaupt ist mein Haushalt minimalistischer geworden und ich habe Freude beim Kochen und Verarbeiten. Eigentlich tue ich die meisten Dinge „wieder“ so, wie meine Grossmutter.
Nach diesem Etappenziel bin ich neugierig geworden: kann ich eigentlich, was ich brauche, nur kaufen oder gibt es andere Möglichkeiten, etwas ohne den Gegenwert von Geld zu erhalten? Zaghaft betrete ich die Welt abseits des Geldes. Viel habe ich von Ansätzen in diese Richtung gehört, beglückend sind die ersten Erfahrungen. Einen Nachmittag Küchen- und Erntehilfe verschafft mir beinahe vier Mahlzeiten. Ein Nachmittag Räumen und Putzen ermöglicht mir die Nutzung eines Autos für Transporte in der Stadt. Ein paar Stunden Budget-Beratung schenken mir das Einweihungsritual für meine Traumwohnung. Ein Schritt ergibt den nächsten, und ich bin gespannt, was alles noch möglich sein wird.
Konsumkritik beginnt damit, bewusst und weniger zu verbrauchen. Konsumwandel beginnt mit den Fragen, was mich nährt und was mein Bedarf ist. Ebenso: was erzeuge und kreiere ich selbst und wie, um etwas hervorzubringen, um etwas in den Kreislauf fliessen zu lassen, um die Welt zu bereichern? Dem nachzugehen fühlt sich verbindend und sehr lebendig an. Und beinah nebenbei kommt mir die Erkenntnis: es geht um die Wiederherstellung eines Gleichgewichts – nach all den Jahrzehnten und Jahrhunderten der Erschöpfung und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Fragen wir uns – wie konsumieren wir und was kreieren wir?!
Juliane Seifert ist Kulturmanagerin und -forscherin mit Schwerpunkt Musik und Bewegung sowie innerer und äusserer Ökologie. Sie lebt zwischen Wald und See und ist im urbanen Raum mit Velo, Buch und Stift unterwegs.