Eigentlich könnten wir heute am Seeufer durch einen öffentlichen Park schlendern und eine grosszügige Grünfläche geniessen. Eigentlich. Denn das Projekt „Expopark“ wurde 2009 kurz vor der Abstimmung sistiert, obwohl es den Rückhalt der Bevölkerung und aller Parteien genoss. Der Grund: «Agglolac».
Man stelle sich einmal Folgendes vor: Im Gebiet um das Bieler Strandbad soll ein öffentlicher Park entstehen, eine 80 Meter breite Grünanlage soll eine Verbindung zwischen Bielersee und Nidauer Schloss schaffen und zwischen Lago Lodge und Strandbad könnten Räumlichkeiten für Vereine entstehen. Die übrigen Gebiete des Expo-Parks werden für Überbauungen genutzt, ein Parking für 240 Parkplätze soll beim Strandbad entstehen. Insgesamt ist eine Geschossfläche von 25‘000m² vorgesehen. Was sich wie ein Alternativvorschlag zu «Agglolac» liest, ist in Tat und Wahrheit das einst vorgesehene Projekt «Expopark» welches kurz vor der Abstimmung 2009 aufgrund der Vision «Agglolac» sistiert wurde.
Schon kurz nachdem die «Expo.02» ihre Türen geschlossen hatte, begann die Diskussion darüber, was mit dem Areal hinter Bieler Strandbad bis Schlosspark geschehen soll. Im Mai 2003 präsentierte die Regierung der Stadt Nidau erstmals einen Richtplan, welcher aufzeigte, wie das Gelände künftig gestaltet werden könnte; gemischte Nutzung mit Grünflächen, Freizeitbereich und einer verdichteten Wohnüberbauung mit einer Geschossfläche von 45’000m². Doch gerade die Dimensionierung dieser Überbauung rief KritikerInnen auf den Plan. Und: Dass die Planung nur das brachliegende Gebiet zwischen See, Schloss, Zihl und Barkenhafen berücksichtigte, war vielen ein Dorn im Auge. Andere wiederum empfanden die Planung als farblos und forderten etwas Visionäres, so zum Beispiel Roland Itten, heutiger Kolumnist beim Biel Bienne und Moderator beim TeleBielingue. In einer Kolumne im Bieler Tagblatt sprach er sich für eine Seebucht aus, die nicht nur BielerInnen begeistert, sondern auch TouristInnen aus der Schweiz und dem Ausland anlockt: Ein grosses Seebad Biel-Nidau mit Gratis-Eintritt, ein grosszügiges Angebot an Wassersportarten, Tennisplätze und Beachvolleyball-Felder, eine offene Promenadenzone und ein internationales Musikfestival, welches während dreier Wochen an die Zeiten der Expo.02 anknüpft. Auch Hans Stöckli, damals noch Stadtpräsident von Biel, blies ins selbe Horn und wollte das Land, welches sich noch heute in Bieler Besitz befindet, lieber für eine wunderbare Erholungs- und Eventzone zur Verfügung stellen als für eine Überbauung.
Eine sichere Mehrheit verspielt
Die Stadt Nidau reagierte auf die Kritik, welche ihr für ihren Richtplan entgegen hagelte. Sie bezog folglich die gesamte Seebucht in die Planung ein, halbierte insbesondere die Flächen für Wohnüberbauungen und sah mehr Grünflächen vor. Man habe erkannt, so der Nidauer Gemeinderat, dass für die Öffentlichkeit zugängliche Flächen einem Bedürfnis der Bevölkerung entsprächen. So entstand 2006 das einleitend beschriebene Projekt «Expopark» mit öffentlichem Park, Grünanlage und gewisser Wohnüberbauung, welches auch Platz für Events aller Art bieten sollte. Auch preislich bewegte sich das Projekt im moderaten Rahmen: Gerade mal acht Millionen und damit zwölfmal weniger als beim heutigen Agglolac-Projekt hätten durch die öffentliche Hand finanziert werden müssen. Die Unterstützung durch die Bevölkerung und die Politik war damit sichergestellt – sogar die FDP, welche zwar die Reduktion der Geschossflächen auf 25’000m² nicht begrüsste, konnte den neuen Richtplan akzeptieren, da er dem nachgekommen sei, was die Bevölkerung wollte.
Nur: Die Meinung der Bevölkerung kümmerte den damaligen Bieler Stadtpräsidenten Stöckli und die Bieler und Nidauer Parteien herzlich wenig. Stöckli brachte im Februar 2009, kurz vor der unumstrittenen Abstimmung zum «Expopark» seine Vision des Kleinvenedig namens «Agglolac» ins Spiel, warf die jahrelange Planung kurzerhand über den Haufen und lancierte die Diskussion um das Expo-Gelände neu. Der Nidauer Stadtrat stimmte der Überprüfung des Projekts mit überwiegender Mehrheit zu, die Bieler Parteien waren allesamt begeistert. Einzig der Gemeinderat von Nidau zeigte sich skeptisch und schrieb: «Ob eine derart hohe Nutzung mehrheitsfähig sein würde, ist unsicher». Verständlich, wenn bereits der Expopark mit damals 45’000m² Geschossflächen durch die Bevölkerung zur Redimensionierung gezwungen wurde und man beim Projekt «Agglolac» nun plötzlich mit 100’000m² zu rechnen begann.
Die Meinung der Bevölkerung ignoriert
Auch seither interessiert die Projektverantwortlichen die Sichtweise der Bevölkerung scheinbar nicht mehr, Kritik perlt an ihr ab wie Wasser an der Teflonpfanne. Die Initiative «Publilac», welche zum Ziel hatte die Freifläche am See hinter dem Bieler Strandbad zu schützen, wurde von den Behörden für ungültig erklärt. Grund: Mit einer Initiative könne man nur Veränderungen herbeiführen und keinen gegenwärtigen Zustand zementieren. Diese Begründung ist umstritten, denn in anderen Städten wurden in Form von Baumoratorien bereits ganz ähnliche Vorstösse und Initiativen lanciert und durchgesetzt. Dem Publilac-Komitee fehlten letztlich aber schlichtweg die finanziellen Mittel um den Entscheid der Behörden vor dem Verwaltungsgericht anzufechten.
Ein Mitwirkungsverfahren wurde zwar lanciert, doch konnte sich die Bevölkerung nur darüber äussern, wie Agglolac innerhalb der eng gesteckten Rahmenbedingungen ausgestaltet werden soll und nicht, wie sie sich eine attraktive Seebucht grundsätzlich vorstellt. Die Eingaben der über 300 Personen und Organisationen wurden trotzdem ignoriert. So äusserte sich der Grünliberale Bieler Stadtrat Max Wiher äusserst kritisch zum Mitwirkungsbericht: «Der Bericht ist eine gute Entschuldigung. So kann man sagen, man hätte die Bevölkerung in die Planung miteinbezogen.»
Auch von der Gründung des Vereins «Stop Agglolac», welcher die Diskussion um die Gestaltung der Seebucht neu lancieren will und aus BürgerInnen jeden Alters sowie VertreterInnen aus zehn verschiedenen Parteien besteht, liess man sich nicht beirren und plante munter weiter.
Die einzigen Anpassungen am Projekt, welche nach dem Mitwirkungsverfahren vorgenommen wurden, mussten erzwungen werden. Das geplante Hochhaus wurde nicht etwas wegen der Kritik durch die Bevölkerung von 72 Metern auf 48 Meter reduziert, sondern weil der Kanton dies aufgrund der beeinträchtigenden Sicht auf das Nidauer Schloss erzwang. Auch die Abgabe im Baurecht wurde stets als Ding der Unmöglichkeit und als Todesstoss für Agglolac verschrien – zumindest bis der Bieler Stadtrat eine durch «Stop Agglolac» lancierte Motion durchboxte, welche nun dazu führte, dass immerhin 60 Prozent der Bauparzellen im Baurecht abgegeben werden.
Zürcher Preise am Seeufer absehbar
In vier Monaten werden wir deshalb nun über ein Projekt abstimmen, welches fast fünfmal mehr Flächen für Überbauungen vorsieht als das sistierte Expopark-Projekt. Insgesamt sollen für 1500 bis 2000 Personen 750 bis 800 Wohnungen entstehen, welche über eine durchschnittliche Wohnfläche von rund 120m² verfügen. Dies entspricht einer Wohnfläche von 48 bis 64m² pro Person, also zwischen 30% bis 70% mehr als dies in Biel gemäss Bundesamt für Statistik aktuell der Fall ist. Ob man dies noch als verdichtetes Bauen bezeichnen kann, sei dahingestellt. Und ob im Agglolac-Quartier dereinst Wohnungen für alle Einkommensschichten entstehen, wie die Projektgesellschaft gegenüber der Öffentlichkeit stets betont, ist damit auch äusserst fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass wir bei Agglolac mit einem Zürcher Preisniveau rechnen müssen. Denn schon bei der «Residence Esplanade», welche ähnliche Wohnflächen anbietet, kratzen wir an Zürcher Preisen. So kostet eine nicht-gemeinnützige 4-Zimmer-Wohnung in Zürich 2‘000 Franken, in der „Residence Esplanade“ zahlt man dafür 1‘993 Franken (Median-Werte). Und dass eine Wohnung mit Blick auf das Seeufer wohl kaum günstiger sein wird als eine Wohnung mit Blick auf die Esplanade versteht sich wohl von selbst.
Weniger ist auch bei Agglolac mehr
Bei Agglolac stellt sich also die Frage, ob denn mehr tatsächlich auch mehr ist. Sicher ist, dass wir mit dem Projekt mit massiv mehr Verkehr leben müssen. Denn gemäss einer Präsentation von Projektleiter Mosimann anlässlich einer Tagung der Schweizerischen Vereinigung der Verkehrsingenieure und Verkehrsexperten wird Agglolac in einem Gebiet mit überlastetem Verkehrsnetz erstellt und erzeugt dort zusätzlichen Verkehr. Gem. Mobilitätskonzept wird Agglolac für 60 Prozent des Mehrverkehrs bis 2035 in der bereits jetzt verkehrsgeplagten Stadt Nidau verantwortlich sein. Insgesamt rund 3‘000 zusätzliche Wege durch Individualverkehr, sowie 1‘400 durch den öffentlichen Verkehr werden zu weiteren Überlastungen im «Stedtli» führen.
Mehr Einwohner werden natürlich auch mehr Steuern einbringen. Doch was im Projekt aktuell nicht berücksichtigt wird, ist dass ein Bevölkerungsanstieg von 20% auch massive Mehrkosten mit sich bringen. Bereits jetzt hat die Stadt Nidau beim Schulraum einen Nachholbedarf von 70 Millionen Franken – der Schulraum für die zusätzlichen Schülerinnen und Schüler, die ins Agglolac-Quartier einziehen werden, noch gar nicht eingerechnet. Es folgen weitere Mehrkosten im Bereich der Verwaltung, der Instandhaltung des Geländes, des individuellen und öffentlichen Verkehrs und der Infrastruktur. Ob die zusätzlichen Steuereinnahmen tatsächlich dazu führen werden, dass all diese Ausgaben gedeckt werden können, ist also fraglich.
Weniger ist eben dann doch mehr. Beispielsweise in dem man sich wieder auf das alte Expopark-Projekt zurückbesinnen würde. Dabei könnten sogar noch im Gebiet zwischen Schlossstrasse und Mühlerunsweg, welches damals nicht einbezogen wurde, weitere Wohnungen entstehen und hätte damit trotzdem eine massive Redimensionierung vollzogen. Damit würde man den Anliegen der Bevölkerung gerecht und gleichzeitig eine der wichtigsten Forderungen von «Stop Agglolac» erfüllen. Mit dem öffentlichen Park rund um das Strandbad würde ein Naherholungsgebiet für die Bevölkerung geschaffen und auch kultureller Gestaltungsraum wäre vorhanden. Die Schloss-Sicht wäre gewährleistet, das Strandbad müsste nicht verkleinert werden und auch für Events und Sportaktivitäten wäre genügend Platz vorhanden. Zudem: Die Pläne liegen bereits vor, die Finanzierung wäre problemlos möglich. Und wenn sich künftige Generationen dereinst trotzdem für weitere Überbauungen am Seeufer entscheiden wollen, stände auch dem nichts im Wege.
Mit einem Nein bleibt die Chance für ein besseres Projekt
Die Angstmacherei seitens der Befürworter, dass bei einem Nein jahrzehntelang nichts mehr passieren wird, ist übrigens nicht allzu ernst zu nehmen. So hat Investor Mobimo gegenüber Mitgliedern von «Stop Agglolac» bereits signalisiert, dass er sich auch nach verlorener Abstimmung nicht zurückziehen will und an der vertraglichen Planungshoheit, welche weiterhin bestehen würde, festhalten würde. Somit ist auch klar, dass es sich bei Agglolac um eine Maximalvariante handelt, bei welcher noch etliche Anpassungsmöglichkeiten vorhanden sind.
Am 28. Juni diesen Jahres, wenn in Biel und Nidau über das offizielle Projekt abgestimmt wird, werden wir die Weichen stellen. Mit einem Ja wird die letzte unbebaute Fläche weit und breit einem Wohnungskonglomerat mit bis zu 10-stöckigen Gebäuden weichen müssen. Bei einem Nein bleibt die Chance für ein besseres Projekt. Ein Projekt, welches die Anliegen der Bevölkerung endlich ernst nimmt. Ein Projekt, das nicht primär den Aktionären des Investors dient. Ein Projekt für alle statt für wenige.
Manuel Schüpbach ist Präsident der Grünliberalen Seeland und Kampagnenleiter von «Stop Agglolac». Während die Grünliberalen seit 2018 eine Rückbesinnung auf das Projekt «Expopark» fordern, setzt sich der Verein «Stop Agglolac» seit dessen Gründung dafür ein, die Diskussion über Agglolac neu zu lancieren.