Dass das westliche Gesellschaftsmodell in seiner aktuellen Ausprägung nicht zukunftsfähig ist, ist inzwischen breiter politischer Konsens. Doch darüber, wie eine zukunftsfähige Gesellschaft aussehen soll und wie diese zu realisieren ist, wird weiterhin heftig gestritten. Der Autor schlägt vor, sich für den notwendigen gesellschaftlichen Wandel an zwei ganz konkreten Kriterien zu orientieren und sich praktisch handelnd auf den Weg zu machen – fossilfrei und ressourcenneutral.
Einer der Grundsätze der Wirtschaftslehre lautet, dass man vom erwirtschafteten Ertrag und nicht von der Grundsubstanz, also dem Grundkapital seines Unternehmens leben sollte. Spätestens seit den 1970er-Jahren und den Ölkrisen wissen wir, dass die fossilen Energien, mit denen wir unsere Gesellschaft befeuern, endlich sind. Das, was wir in unseren Motoren, Heizungen, Industrien und Müllverwertungsanlagen tagtäglich verbrennen, erneuert sich nicht. Es ist weg, verbraucht. Statt vom nachwachsenden Ertrag leben wir vom Grundkapital unseres Planeten, unserem Grundkapital.
Unmöglich? Unmöglich ist, so weiterzumachen wie bisher.
Wir schaufeln damit der Menschheit ihr eigenes Grab.
Es geht hier nicht um Naturschutz, es geht um uns,
uns Menschen, unsere Nachkommen, unsere Kinder.
Müllkippe
Jeder Liter Erdöl, Benzin, Gas, jedes Kilo Braun- oder Steinkohle, grundsätzlich jedes Kilo Rohstoff, das wir dem Erdmantel entreissen und letztlich verbrennen, ist für die Zukunft verloren – dauerhaft verloren, zerstört. Das ist das Gegenteil von nachhaltig. Und nicht nur was wir verbrennen, belastet die Luft und indirekt unsere Böden und unsere Gewässer: Seien es Mikroplastik, synthetische oder andere chemische Giftstoffe, unsere Welt ist von Pol zu Pol, von den höchsten Gipfeln bis hinunter in die Tiefsee zu einer gigantischen Müllhalde für Mikropartikel geworden, die sich nicht zuletzt auch in unseren Körpern anreichern.
Nachhaltig ist, was nachwächst, sich erholt, regeneriert, sich auf natürliche Weise, d.h. ohne den Verbrauch fossiler Energie erneuert. Wald, der nachwächst, ein Wasserreservoir, das sich auf natürliche Weise wieder füllt. Ein Mensch, der direkt und indirekt keine fossile Energie verbraucht.
Dies bedingt eine Mobilität, die ohne fossile Energien funktioniert, Häuser, die ohne fossile Energie auskommen, Nahrung, die ohne fossile Energie hergestellt und konsumiert wird, die Umstellung unserer gesamten industriellen Herstellungsprozesse auf eine fossilfreie Produktion. Dies bedeutet nichts weniger als eine gigantische gesellschaftliche Transformation: die Neuerfindung einer fossilfreien und ressourcenneutralen Weltgemeinschaft.
Anders und besser
Unmöglich? Unmöglich ist, so weiterzumachen wie bisher. Wir schaufeln damit der Menschheit ihr eigenes Grab. Es geht hier nicht um Naturschutz, es geht um uns, uns Menschen, unsere Nachkommen, unsere Kinder. Unser Widerstand gegen die Erkenntnis, dass dem Menschen auf einem begrenzten Planeten Grenzen gesetzt sind, ist verständlich, aber zwecklos. Wir können die seit den 1990er-Jahren hinlänglich bekannten Tatsachen zum Klimawandel leugnen, dies wird uns aber nicht retten. Im Gegenteil, weitermachen wie bisher ist zutiefst egoistisch und wird uns nur noch viel weiter in die Bredouille führen. Das Hauptproblem, das wir haben, ist Angst: die Angst vor dem Wandel, die Angst, Privilegien zu verlieren, auf einen Teil unseres Wohlstandes, auf weiteres Wachstum verzichten zu müssen und weniger konsumieren zu können.
Dabei könnte Vieles anders und besser sein, gemeinschaftlicher, solidarischer, fair und eben auch fossilfrei und ressourcenneutral. Die Transition-Bewegung und zahlreiche andere Gemeinschaften haben sich weltweit bereits auf den Weg gemacht, und täglich entstehen neue, den jeweiligen regionalen Bedürfnissen angepasste Lösungen. Harald Welzer und Bernd Sommer schreiben in ihrem 2017 erschienenen Buch zum Thema Transformationsdesign: «Verändern werden sich unsere Gesellschaften vor dem Hintergrund ihres nicht nachhaltigen Stoffwechsels mit der aussermenschlichen Natur auf jeden Fall; die Frage ist nur, ob by design oder by disaster». Ich bin für «by design», hier, bei uns und jetzt.
Lukas Weiss ist Umwelt-Erwachsenenbildner und Absolvent eines Masterstudiums für gesellschaftliche Transformation. Er ist Vorstandsmitglied der Vision 2035 und der Grünen Seeland, sowie Leiter der Zukunftswerkstatt und Mitglied des Gemeinderates von Täuffelen-Gerolfingen. www.lukasweiss.ch
Vortrag und Werkstatt
Lukas Weiss und Helene Sironi zur Frage nach der konkreten Ausgestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft. Achtung, neues Datum: Mittwoch, 23. März 2021. Onlinevortrag, genauere Infos folgen.