Erlebnisbericht einer Studentin, die bei der Besetzung des Bundesplatzes im Rahmen von Rise Up for Change als «Blockerin» mittendrin war.
WHAT DO WE WANT? Mit dieser Frage, die die Klimabewegung nun schon einige Jahre prägt, verschönere ich meine Jeansjacke an der Siebdruckstation für das Rising Up for Change. Alle, die an diesem Sonntagnachmittag für die letzten Vorbereitungen der kommenden Woche zusammenkommen, kennen die Antwort auf die Frage: CLIMATE JUSTICE.
Es ist ein warmer Nachmittag. In verschiedenen Sitzungen erhalten wir Erklärungen zu unseren Rollen der Aktionswoche. Gemeinsam tanken wir Energie in der Sonne, gewinnen durch angeregte Gespräche Motivation und entwickeln ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das unser bevorstehendes Projekt erst möglich machen wird. Als es langsam dunkel wird, begeben wir uns zu den uns zugewiesenen Übernachtungslagern.
Ich betrete die Kirche durch einen Nebeneingang. Drinnen empfängt mich ein fröhliches aber gedämpftes Gewusel: Es werden Kartenspiele gespielt, intensive Gespräche geführt und eifrig geeignete Schlafplätze für die Nacht ausgesucht. Die Stimmung ist aufgewühlt und energiegeladen. Es fühlt sich an wie die fünf Minuten vor dem Beginn des Konzertauftritts, dem Referat oder einem wichtigen Vorstellungsgespräch. Eine Mischung aus Aufregung, Vorfreude und Unsicherheit. Ich denke an Morgen. Wird alles reibungslos funktionieren?
Camping auf dem Bundesplatz
Ein leises Summen, das in den Gewölben widerhallt, weckt uns aus dem Schlaf. Sofort beginnt ein geschäftiges Rascheln und innerhalb kürzester Zeit stehen wir geordnet und mucksmäuschenstill vor dem Ausgang bereit. Auf ein Zeichen werden die zwei Flügeltüren geöffnet und wir treten in die kalte Nachtluft hinaus.
Wir sind die erste Gruppe die auf dem Bundesplatz eintrifft. Es geht alles ganz schnell. Fast zeitgleich stossen die anderen Gruppen aus zwei weiteren Strassen zu uns. Es ist ein ergreifender Moment, als wir alle endlich gemeinsam da sind. Singend und skandierend besetzen wir den Bundesplatz. Als Blockerin kann ich von meinem Sitzplatz aus das bunte Treiben beobachten. Vollkommen fasziniert beobachte ich, wie jede Person ihre spezifische Rolle ausführt und als kleines Rädchen gemeinsam mit den Anderen das riesengrosse Uhrwerk zum Laufen bringt. Das illegale Uhrwerk vor dem schweizerischen Bundeshaus.
Innert zwei Stunden sind verschiedene grosse und kleine Zelte wie auch Toiletten aufgebaut und es gibt lecker duftenden Kaffee aus der Küche. Das Back-Office hat bereits die erste Medienmitteilung geschrieben, das Legal-Team ist mit der Polizei in Kontakt und das Care-Team bringt den verschiedenen Bezugsgruppen Brötchen mit Marmelade. Als es langsam hell wird, hat sich der Bundesplatz in einen vollausgestatteten Campingplatz verwandelt, geschmückt mit Bannern und farbigen Plakaten. Nach dem Frühstück gehen die ersten Rebell*innen vom Bundesplatz direkt zur Arbeit. Wir sind entschlossen, den ‚Klimaplatz’ eine Woche unser Zuhause zu nennen.
Nachmittags sind wir etwas ermüdet, das zuvor ausgeschüttete Adrenalin lässt nach und eine leichte Erschöpfung setzt ein. Nachdem am Abend die wichtigsten Verhandlungen mit der Polizei abgeschlossen sind, verlassen einige den Platz um eine Nacht zuhause durchschlafen zu können, auch ich. Am nächsten Tag ist die Normalität des Alltags geradezu absurd. Ich sitze in meiner Vorlesung und mein Handy vibriert ununterbrochen. Ich bekomme Nachrichten meiner Bezugsgruppe. Ich werde nervös. Ich sitze hier und höre etwas über vergangene, historische Phänomene, während auf dem Bundesplatz Geschichte geschrieben wird. Mein Handy blinkt auf: Eine Nachricht aus dem Infochannel. «Wir brauchen jede*n einzelne*n von euch!» «Kommt jetzt auf den Bundesplatz». Was mache ich hier eigentlich?! Ich verlasse den Unterricht und rufe meine Schwester an. Auch sie war in der Uni, auch sie hat sie verlassen. Bei den Schliessfächern am Bahnhof angekommen, treffen wir auf eine weitere Aktivistin, die morgens in Zürich arbeiten war, und ebenfalls ihre Sachen gepackt und den nächsten Zug nach Bern genommen hat. Als wir den Bundesplatz erreichen, erfahren wir, dass es vielen ähnlich erging. Alle sind zurückgekommen mit dem dringlichen Gefühl, hier sein zu müssen – und nirgendwo anders. Ich bin erleichtert, als ich den Platz betrete und meine Bezugsgruppe fröhlich und wohlauf wiederfinde. Ich. bin. hier.
Dialog und Wasserwerfer
Dienstag wird zum turbulenten Tag. Wir stellen einerseits die Forderung, dass Politiker*innen zur Diskussion auf den Bundesplatz kommen sollten – und sie kommen. Andererseits findet eine andere Demonstration von ‘Stop Isolation’ statt. Diese Kundgebung, die überwiegend aus Migrant*innen besteht, wird mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Gummischrot von der Polizei daran gehindert, zu uns auf den Bundesplatz zu gelangen. Mich ergreift ein Gefühl der unfassbaren Ungerechtigkeit. Das Ganze ist eine morbide Analogie des Geschehens in der aktuellen Flüchtlingspolitik Europas: Demonstrierende, die in sogenannten Rückkehrzentren feststecken und keine Lebensperspektive mehr haben, werden von der Polizei misshandelt. Und wir? Wir besetzen den Bundesplatz, eine zentrale Linie des öffentlichen Verkehrs und dürfen mit Politiker*innen und Polizist*innen in konstruktiven Dialog treten. Diskurs als Konfliktbewältigung ist sehr wünschenswert, aber eben für ALLE Menschen und nicht nur für Personen mit einer gültigen Aufenthaltsbewilligung oder einem Schweizer Pass.
Die Erleichterung ist gross, als die Gruppe endlich den Klimaplatz erreicht und einige Reden gehalten werden können.
Gemeinsam sind wir stark
Abends gibt es Konzerte und leckeres Essen. Es herrscht entspannte Stimmung. Später, als es schon dunkel ist, beginnt es zu regnen, bald in Strömen, wir werden alle bis auf die Knochen nass. Wir sind müde, erschöpft und uns ist kalt. Wir sind froh als das Plenum ausgerufen wird, um das Vorgehen zu klären. Irgendwann werden trockene Kleider vorbeigebracht und wir können uns umziehen. Ich bin todmüde und möchte eigentlich nach Hause ins warme Bett.
Doch dann wird klar – wir werden heute Nacht geräumt. Die Polizei kommt. Jetzt. In wenigen Minuten haben wir den ganzen Bundesplatz umringt mit menschlichen Blockaden, die sich ineinander verhakt oder mit Ketten aneinandergebunden haben. Beide meiner Armen stecken in einem ‚Armlock’ durch das ich mit den nächsten Blocker*innen neben mir verbunden bin. Ein Armlock ist eines der vielen Hilfsmittel um sich bei Blockaden an anderen Menschen anzuketten. Personen, die nicht in der Blockade und damit beweglich sind, umsorgen uns, bringen uns Decken und Regenschirme. Mir ist kalt. Mein Sitznachbar schlägt vor, Yoga zu machen, um unsere Arme regelmässig entlasten und unsere Körper aufwärmen zu können. Gemeinsam wippen wir mit unseren Oberkörpern nach vorne und wieder zurück. In dieser Position verharren wir einige Stunden, während die Polizei uns mehrmals auffordert, den Ort freiwillig zu verlassen. Vielleicht sitzen Kinder von Polizist*innen hier auf dem Platz, denke ich. Wir singen Lieder und lenken uns gegenseitig von der Nässe und Kälte ab.
Irgendwann beginnen sie den Platz zu räumen. Sie schneiden die Ketten und Armlocks auf und tragen Menschen weg. Es dauert eine Weile bis sie zu meiner Bezugsgruppe vordringen. Ich bin durchnässt, erfroren und irgendwie fast erleichtert, als sie endlich kommen.
Die Feuerwehr schneidet uns los und die Polizei führt uns ab. Eine lange Zeit des Wartens beginnt; Warten auf den Kastenwagen, warten im Warteraum. Als ich endlich in eine Zelle geführt werde, ziehe ich meine nassen Schuhe aus, wickle mich in die Militärdecken und schlafe ermüdet ein. Einige Stunden später, werde ich zum Verhör aufgerufen, direkt danach, kann ich gehen. Draussen werde ich herzlich von wartenden Aktivist*innen empfangen. Sie haben schon Stunden vor dem Posten ausgeharrt. Wir sind erschöpft aber glücklich. Die Zeitungen sind voll von uns, voll mit dem Thema Klimawandel.
In dieser Woche habe ich selbst miterleben dürfen, wie friedlicher und gewaltfreier Widerstand möglich ist und wie stark Menschen sind, wenn sie es schaffen, zusammenzuarbeiten. Wir haben begonnen zu kämpfen für unsere Welt und für die Menschen und alle Lebewesen, die noch kommen werden. Als ich nach Hause gehe, schaue ich mir das neuste Video der Medien-Gruppe an, indem die Räumungsnacht dokumentiert wird. Die letzten Worte, die im Video aufleuchten, stehen stellvertretend für die Klimakrise und deren Bewältigung: «The camp has been evicted. But the struggle, has just begun».
Miro (Pseudonym): Studentin und Barkeeperin